Christine Erb 2015Christine Erb 2015 in der Greizer Gaststätte “Schlemmergasse”. Sie war die langjährige Vorsitzende des Vereins “Heimattreue Greizer e.V.”

Vereine wie “Heimattreue Greizer” oder Alpenverein Sektion Greiz stifteten Identität
Greiz. Wenn man seine Heimat Greiz liebt und sich auch mit deren Historie beschäftigt, kommt man am “Verein heimattreuer Greizer e.V.” definitiv nicht vorbei. Somit auch nicht an Christine Erb, die viele Jahre 1. Vorsitzende dieses Vereins war. Wir wollten uns mit ihr treffen. Mehr darüber erfahren, was von 1964 bis 1991 über 800 Vereins-mitglieder, Spender und Abonnenten bewogen hatte, aus der Ferne ihrer alten Heimat Greiz die Treue zu halten. Schließlich haben die Aktivitäten dieses Vereins durchaus Vorbildcharakter für die künftige Bürgerstiftung Greiz und den aktuell bestehenden gleichnamigen Freundeskreis. Auch die Bürgerstiftung Greiz will denjenigen, die sich mit Greiz verbunden fühlen, eine Heimat und einen Anker bieten. Völlig gleichgültig, ob sie noch in unserer Stadt leben oder dies aus der Ferne tun, weil sie Deutschlandweit bzw. in der Welt verstreut sind.

Pünktlich um 10 Uhr betritt Christine Erb schwungvoll die Gaststätte, begrüßt Gastwirtin Heike Kahler und mich herzlich. Schon im Vorgespräch war klar geworden: Die 79-jährige hat immer viele Termine bei ihren Besuchen in Greiz, der Zeitrahmen für das Gespräch ist begrenzt. “Im Hotel sagen sie schon immer, ich wäre dauernd auf der Flucht”, erzählt Erb lachend, während wir uns an den Tisch setzen und jeweils eine der leckeren Trinkschokoladen bestellen, wofür die “Schlemmergasse” vielleicht ihren Namen bekommen hat. Auch an diesen Samstag vor Ostern ist ihr Terminkalender voll. Neben unserem Gespräch steht noch ein Ausstellungsbesuch und die Teilnahme an der Mitgliederversammlung des “Deutschen Alpenverein Sektion Greiz Sitz Marktredwitz” auf dem Plan.

Zum Alpenverein und zur “Greizer Hütte” hat Christine Erb sehr persönliche Beziehungen
Schon die Namensbezeichnung dieser Sektion des Deutschen Alpenvereins zeigt, wie wichtig ein regionales Identitätsverständnis für die Menschen ist. Immerhin hat die 1881 in Greiz gegründeten Alpenvereins-Sektion aktuell über 1.700 Mitglieder in ganz Deutschland. Die bekannte “Greizer Hütte” in den österreichischen Zillertaler Alpen feierte 1993 ihr 100-jähriges Bestehen, weshalb die Greizer Heimattreuen in jenem Jahr ihre Treffen in Mayrhofen (Zillertal) durchführten. Zur Alpenvereins-Sektion und besonders zur “Greizer Hütte” hat Erb sehr persönliche Beziehungen. “Die ´Greizer Hütte´ war aufgrund des Vereinssitzes und der dadurch bedingten fehlenden Pflege durch Österreich enteignet worden. Mein Onkel hat die Hütte dann vom Staat zurückgekauft, damit sie ein beliebtes Wanderziel bleibt- nicht nur für Greizer” erzählt Christine Erb mit leuchtenden Augen. Der Greizer Holger Voß leitet die Ortsgruppe hier am ursprünglichen Gründungsort. Anders als in Marktredwitz es gibt in Greiz auch noch eine Jugendgruppe, die von Dorothea Hammann und Alexander Jacob betreut wird. Harry Kießling aus Thalbach betreut die Greizer Erzgebirgshütte, die zwischen den Orten Eibenstock und Morgenröthe-Rautenkranz liegt. Hier ist der Besuch des Raumfahrtmuseums empfehlenswert, denn aus Morgenröthe-Rautenkranz stammt Siegmund Jähn, der erste Deutsche im All. Damals war er als Kosmonaut noch DDR-Bürger. Der Greizer Ulf Merbold war der erste bundesdeutsche Astronaut und wohl die meisten sind stolz, dass er seine Wurzeln in unserer Stadt hat.

27 Jahre Heimattreue – auch und gerade wegen unserer traditionellen “Roster”
Der Alpenverein wurde die neue Heimat von Christine Erb, nachdem sich die Heimattreuen Greizer nach 27 Jahren durch Beschluss der Mitgliederversammlung am 24.August 1991 aufgelösten. Der Verein “Heimattreue Greizer e.V.” wurde am 3.7.1964 in Mainz gegründet und war dort im Vereinsregister als gemeinnütziger Verein eingetragen. “Das war wichtig, denn so konnten wir selbst Spendenquittungen ausstellen. Bei den Landsmannschaften war das deutlich komplizierter” erinnert sich Erb. Initiator des Vereins war Bruno Knüpfer, der 1963 von Mainz aus insgesamt 3.000 Einladungen zum 1. Greizer Heimattreffen verschickt hatte. Damals folgten über 2.000 ehemalige Greizer dieser Einladung. Zu diesem Zeitpunkt ist die Grenzschließung durch die DDR-Führung zwei Jahre her. Für viele ehemalige Greizer wurden Besuche der alten Heimat damit unmöglich. “Auch mir wurde mit Annahme des Amtes als 1. Vorsitzende die Einreise in die DDR verweigert, Verwandte durften mich nicht mehr besuchen. Es gab Abgesandte, die ein Aufheben dieser Sanktionen signalisierten, wenn ich das Amt abgebe” fügt Christine Erb an dieser Stelle ein, die nach dem Tod von Bruno Knüpfer Vereinsvorsitzende wurde. Nach ideologischer Lesart der DDR-Oberen waren diese Greizer Vereinsmitglieder “Revanchisten”. Obgleich man streng darauf achtete, keine brisantenThemen des “politischen Parketts” zu bedienen, stand besonders die herausgegebene Zeitung “Greizer Sonntagspost” im Fokus staatlicher DDR-Überwachung. Dr. Fritz Franz und Erhard Seidel waren unter anderem die engagierten Macher dieser Zeitung, deren Erscheinen nach 75 Ausgaben im Juni 1991 eingestellt wurde. “Wir haben auch Blätter einzeln in die DDR gebracht, erst hier vor Ort wurde dann die Zeitung für Greizer zusammengesetzt” gibt Christine Erb augenzwinkernd einen Einblick, wie man sich staatlicher Überwachung zu entziehen versuchte.
Die heimattreuen Greizer waren keine Revanchisten, tatsächlich vermissten sie nur ihre Heimat. “Wenn etwas plötzlich unerreichbar wird, dann wird es persönlich wichtig” antwortet Christine Erb mit Wehmut in der Stimme leise auf meine Frage, was die Menschen angetrieben hat, aus der Ferne den Kontakt zu halten. Aber auch in Greiz erhielten sie Unterstützung. “Der bekannte Heimatforscher Rudolf Schramm schickte uns z.B. Artikel und organisierte den Versand von Briefen. Häufig über Studenten, die dann die Briefe in Leipzig einwarfen. Aus Greiz erreichte mich nie ein Brief” erzählt Erb. Dennoch hat sie nie nach einer etwaigen Stasi-Akte gefragt. Sie wisse nicht, ob sie diesen Menschen dann noch unbefangen gegenüber treten könne – man müsse aber nach vorn blicken und vor allem gemeinsam anpacken. “Ich verstehe nicht, warum in Greiz nichts gemeinsam geht. Laut Bürgermeister gibt es über 200 Vereine in Greiz, allein mehrere Schützenvereine. So groß ist Greiz nun auch nicht. Statt Zersplitterung wäre die Kraft gemeinsamen Handelns die eigentliche Antwort auf die Herausforderungen, vor denen Greiz seit Jahren steht”, bringt es Christine Erb auf den Punkt. Genau das war die Stärke des von ihr geführten Vereins – 800 Menschen verfolgten gemeinsam ein Ziel.
Insgesamt organisierte der Verein 19 Heimattreffen, die fast alle im fränkischen Coburg stattfanden. “Warum eigentlich in Coburg?” frage ich Christine Erb. Sie fängt an zu lachen und erwidert: “Sie werden es nicht glauben. Unsere Mitglieder wollten Roster essen und Klöße mit viel Soße”. Ich schüttle ungläubig den Kopf und Erb erzählt, wieder ernst werdend, weiter: “Natürlich hatten wir auch andere Orte in Augenschein genommen. In Mainz konnte man mit unserer Heimattreue so gar nichts anfangen, ähnlich in anderen hessischen Grenzorten. In Coburg fühlten wir uns verstanden und herzlich aufgenommen”. Der Verein wurde in Coburg immer unterstützt, vielleicht auch bedingt wegen der Nähe zur innerdeutschen Grenze. Für Christine Erb, die im Vereinsvorstand für die Organisation der Veranstaltungen verantwortlich zeichnete, war das wichtig. Denn die Treffen waren – damals ohne E-Mail, Web und Whats up – eine logistische Herausforderung. “Zwischen 300 und 500 Quartiere mussten wir für die zugesagten Teilnehmer organisieren. Wenn wir dann bei der Deutschen Bahn Sonderzugfahrten auf stillgelegten Strecken Richtung Grenze orderten oder von Bamberg aus Schiffsfahrten mieteten, standen plötzlich auch mal 80 Greizer unangemeldet vor mir. Dann wurde es spannend.” schmunzelt Erb in Erinnerung an diese Zeit. Als technikaffiner Mensch frage ich mich laut, wie man das alles ohne E-Mail und andere moderne Kommunikationsmittel hinbekommen hat? Christine Erb lacht und erwidert: “Vielleicht wollen meine Kinder deshalb nichts mehr von Greiz wissen? Nicht nur meine drei Kinder, sondern alle in der Familie mussten mit ran, wenn 2.000 Briefumschläge zugeklebt werden mussten. Ohne die Familien wäre das nicht zu schultern gewesen”. Vor solchem Engagement kann man nur den Hut ziehen.

“Ich habe nur kurze Zeit in Greiz gelebt. Aber es waren die wichtigsten Jahre- meine Kindheit und Jugend.”
“Warum haben Sie persönlich sich so für den Verein und für Greiz engagiert, warum halten Sie noch heute den Kontakt zur alten Heimat?” möchte ich von Christine Erb wissen. “Ich habe eigentlich nur kurze Zeit meines Lebens in Greiz gelebt. Aber es waren die wichtigsten Jahre- meine Kindheit und Jugend. Hier habe ich die Greizer Marienschule besucht, meinen Beruf gelernt und auch meinen Führerschein noch gemacht. Das prägt das ganze Leben.”, antwortet sie auf die Frage. Nach Grenzöffnung 1989 stellten sich alte Kontakte zu Jugendfreunden wieder her, Erb wurde in Greiz herzlich aufgenommen.
Geboren ist Christine Erb im vogtländischen Reichenbach. Ihre Familie zog in das vogtländisch-thüringische Greiz, da ihr Großvater Direktor der Stadtwerke Greiz war. In diesem Unternehmen begann sie (nach dem Besuch der heutigen Goetheschule) auch eine technische Ausbildung, da sie eigentlich in Dresden Flugzeugtechnik studieren wollte. Nachdem ihr Onkel in den Westen gegangen war, spürte sie die Reaktion des Staates. Das Studium in Dresden war plötzlich nicht mehr möglich, statt dessen sollte sie in Mittweida studieren. Diese Eingriffe in die Lebensplanung führten letztlich dazu, dass ihre Familie nach Hessen übersiedelte. Sie studierte an der Universität Frankfurt/Main und wurde nach damaligen Sprachgebrauch “Physikalisch-technische Assistentin (PTA)”, später wurde daraus die Berufsbezeichnung “Medizinisch-technische Assistentin (MTA)”. Am Uni-Klinikum bediente sie lange Jahre bei großen Operationen die Herz-Lungen- Maschine. Hessen war und ist ihr Wohnsitz, aber Greiz bleibt ihre Heimat.

Bürgerstiftung Greiz will als Netzwerk “Bürger für Bürger” abseits der Politik agieren
Die Idee einer Bürgerstiftung als Gemeinschaftsstiftung führte der Unternehmer Reinhard Mohn (Bertelsmann) im Juni 1996 mit der “Stadt Stiftung Gütersloh” erstmals in Deutschland ein. “Hätten Sie damals auch eine Bürgerstiftung gemacht, wenn das 1991 schon bekannt gewesen wäre?” frage ich. “Nein, laut Satzung war mit der Wiedervereinigung das Vereinsziel erreicht und der Verein war aufzulösen. Aber wer weiss, vielleicht hätten sich unsere Mitglieder, von denen leider inzwischen viele verstorben sind, auch für die Idee einer Gemeinschaftsstiftung mit regionalem Bezug stark gemacht? Da ist leider schon sehr viel Zeit verstrichen, die Idee kommt quasi 20 Jahre zu spät.” antwortet Christine Erb zum Abschluss des gemeinsamen Gespräches. Nachdem wir uns herzlich verabschiedet haben, eilt Erb zum nächsten Termin. Nicht ohne sich die zugesagten Belegexemplare der Erstausgabe “Greiz(er) im Blick” unter dem Arm zu klemmen, damit sie diese an ehemalige Greizer im Alpenverein weitergeben kann.
Sicher ist seit 1991 der Kreis ehemaliger Mitglieder des Vereins “Heimattreuer Greizer e.V.” überschaubarer geworden. Aber es gibt noch ehemalige Mitglieder, um die wir hier ausdrücklich werben. Genauso umwerben wir aber die nachfolgende Generationen. Jene, die sich vor oder nach der Wende 1989 Deutschland- oder sogar weltweit eine neue Perspektive aufgebaut haben, aber noch immer die Geschehnisse in der “alten Heimat Greiz” verfolgen. Für lediglich 12,00 Euro im Jahr können Sie im Förderverein “Freundeskreis Bürgerstiftung Greiz” mit dafür sorgen, dass bürgerschaftliches Engagement ganz ohne (Kommunal-)Politik möglich wird. Anderenorts funktioniert das schon hervorragend. Als Gründungsstifter können Sie mit einer einmaligen Zustiftung von 250.-€ (die man mit 21.-€ pro Monat auch binnen 12 Monaten ansparen kann) dafür sorgen, dass z.B. Kinderprojekte nicht dem Rotstift zum Opfer fallen. Die künftige Bürgerstiftung Greiz versteht sich als Netzwerk “Bürger für Bürger”, sie will das gemeinsame Handeln in den Vordergrund stellen. Wir bieten auch anderen Vereinen eine Plattform, sich vorzustellen und für ihr Engagement für Greiz zu werben.
Anders als Vereine bietet eine Bürgerstiftung weitere Möglichkeiten. Im benachbarten Plauen wurde die Bürgerstiftung möglich, nachdem der Bamberger Unternehmer Hans Löwel (gebürtig in Plauen) testamentarisch 1,4 Millionen Euro (!) mit der Auflage hinterließ, im Rahmen einer Stiftung das Geld für die Bürger einzusetzen. Das ist natürlich der ultimative Glücksfall. Die Bürgerstiftung (BS) Dresden startete 1999 mit 50.000 Euro Stiftungskapital. Heute beträgt das eigene Stiftungskapital 2,9 Millionen Euro! Rechnet man die unter dem Dach der BS Dresden bestehenden Unterstiftungen und Treuhandfonds (hier werden die von Stiftern vorgegebene Ziele verfolgt!) mit ein, verwaltet die BS Dresden derzeit 19,7 Millionen Euro. Sicher, Greiz ist nicht Dresden. Aber Greiz war einmal eine der reichsten Städte Deutschlands. Geprägt von erfolgreichen Unternehmerfamilien, die sich u.a. über Stiftungen auch philantropisch für das Gemeinwohl in unserer Stadt einsetzen. Altenheime, Kindergärten, Kleingarten- und Parkanlagen – all das entstand damals durch privates Engagement von Stiftern, die etwas bleibendes hinterlassen wollten. Wer will ausschließen, dass diese Familien oder auch heutige Unternehmer solche philantropischen Ansätze unter dem Dach einer Bürgerstiftung (man erspart sich Geld, Zeit und Nerven mit der Stiftungsaufsicht) verfolgen wollen?
Wir bedanken uns bei Frau Christine Erb sehr herzlich für die Möglichkeit zu diesem Gespräch sowie die wertvollen Informationen und freuen uns darauf, Frau Erb bei guter Gesundheit in Greiz wieder zu treffen.

Freundeskreis Bürgerstiftung Greiz/Torsten Röder @28.03.2015