Konzertlesung mit Stephan Krawczyk vor Greizer LessingschülernDer Titel "Ideologie" , gesungen von Stephan Krawczyk, stimmt auf die Materie ein.

Wenn einer zum richtigen Zeitpunkt auf die falschen Leute trifft
GREIZ. Am Mittwochvormittag war der gebürtige Weidaer Liedermacher und Schriftsteller Stephan Krawczyk mit einer musikalischen Lesung aus seinem 2012 erschienenen Buch „Mensch Nazi“ zu Gast in der Lessing-Regelschule. Schüler der neunten und zehnten Klasse erlebten zwei Unterrichtsstunden der besonderen Art, in denen sich die Grenzen zwischen Geschichts-, Deutsch-und Ethikunterricht fließend gestalteten. Dabei trat Krawczyk nicht nur als Autor, sondern auch als authentischer Zeitzeuge auf, dem in der DDR die Zulassung als Berufsmusiker entzogen und der nach einer Inhaftierung im Jahr 1988 in die BRD abgeschoben wurde. Krawczyk konnte ab Mitte der 1980er Jahre nur noch im Schutz der Kirche auftreten. Er galt als eine der bedeutendsten Personen der DDR-Opposition. Dennoch hegt der einstige Dissident keinen Groll, sondern versprüht Empathie und Mitgefühl für die Menschen, die ohne Führung von Eltern groß und oft leichte Beute für heimtückische Ideologien werden. Er sieht es als vordergründige Aufgabe an, Eltern zu verpflichten, ihren Kindern den Unterschied zwischen Recht und Unrecht zu vermitteln. In seinem Band „Mensch Nazi“ geht der Schriftsteller der Frage nach, was Klemens, die Hauptfigur des Romans, zu einem Neonazi werden ließ. Zum richtigen Zeitpunkt die falschen Leute zu treffen, sei ein Schritt in diese Richtung. Das Buch schildert eine zufällige Begegnung des Autors mit einem ehemaligen Nazi in einer Kneipe und basiert auf einer tatsächlichen Begebenheit. Klemens’s Mutter starb früh, er wuchs im Kinderheim auf und zog nach dem Tod der zweiten Frau seines Vaters wieder zu ihm zurück. Als der Vater in Mecklenburg-Vorpommern einen Job als Wachschutzmann bekam und dort auch „jemanden kennenlernte“, siedelte er mit Klemens dorthin. Aus Liebeskummer und Protest hatte sich der heranwachsende Klemens eine Glatze rasiert. Aufmerksamkeit zu erregen, auch wenn es auf abstoßendes Aussehen begründet ist, scheint oberstes Gebot. In welche Gruppierung man schlussendlich trudelt, hängt vom sozialen Umfeld oder dem „Zufall seiner Biografie“ ab, zeigt sich Stephan Krawczyk überzeugt. Mit Liedern wie „Hundeliebe“, „Ideologie“ oder „Extremisten-Tango“ hatte der Künstler zuvor auf die Thematik eingestimmt. Dabei positionierte er sich prinzipiell gegen Gewalt in jeglicher Form. Lediglich der differenzierten Sprache in seiner vielschichtigen Ausdrucksweise solle man sich betätigen, um Konflikte beizulegen. Den interessierten Schülern empfahl er zudem, bei allen Überangeboten der Konsumgesellschaft genau hinzuschauen, was wirklich „dienlich“ ist: „Nützt es uns oder lassen wir uns nur vor einen Karren spannen?“
Schulleiter Dieter Linke hatte zu Beginn der Lesung seiner Freude Ausdruck verliehen, Stephan Krawczyk an der Schule begrüßen zu können. Entsprechend dem Thema „Jubiläen“, dem sich die Projektwoche kürzlich widmete, könne er ein eigenes Jubiläum beisteuern: Vor dreißig Jahren hörte er das erste Konzert von Stephan Krawczyk, das ihn für sein weiteres Leben stark beeinflusst habe. „Sein Mut machte auch mir Mut“, so Dieter Linke. Obwohl man sich am Vortag zum ersten Mal im Leben persönlich begegnete, sei es, als kenne man sich schon „ewig“. „Wir haben uns als Freunde getroffen.“

Antje-Gesine Marsch @26.02.2015