In Greiz ist "Alles unter Kontrolle"

8.Triennale der Karikatur im Sommerpalais Greiz eröffnet

In Greiz ist "Alles unter Kontrolle"
Ulrich Forchner (r.) grüßt mit dem Hut.
GREIZ. Seit Samstag ist in Greiz „Alles unter Kontrolle“. So jedenfalls titelt die 8. Triennale der Karikatur, die am Vormittag bei herrlichem Wetter vor dem Sommerpalais eröffnet wurde. Die Direktorin des Hauses, Eva-Maria von Mariassy hob dabei das „epochale Doppelereignis“ hervor – der Beginn der Karikaturenausstellung und zudem die „Jubelfeier“ zum vierzigjährigen Geburtstag des SATIRICUM. Obwohl die „Abhörskandale“ bereits ein Jahr zurückliegen – abgehört werde immer noch. 78 Künstler beschäftigten sich auf ganz individuelle Weise mit dem Thema des gläsernen Menschen, dem man im Grunde nur noch in karikierter Manier begegnen kann.
Ein Grußwort sprach auch Landrätin Martina Schweinsburg (CDU), die die Triennale als „kulturellen Höhepunkt im Leben unserer Kreisstadt“ bezeichnete. Was der Landrätin seit der NSA-Abhöraffäre auffiel: „Es werden wieder mehr alte Stasi-Witze erzählt.“
Eine glühende Rede hielt Harald Kretzschmar, gemeinsam mit Dr. phil. Werner Becker (9.11.1925 – 30.12.1984) Gründer der nationalen Karikaturensammlung „SATIRICUM“. „Im Jahr 1975 glaubten wir zu wissen, was wir dringend brauchen: Ein Satiricum als Sammelpunkt kritischen Zeichnens.“ Dabei schlug der Künstler den Bogen in die Gegenwart. Inzwischen sei alles austauschbar, man gehe ins Internet und werde auf den Webseiten der Karikatur mit Kübeln voll Text überladenem zeichnerischem Unrat überschüttet. Die aktuelle Frage sei: Hat Zeichnen als Zeichen geben ausgedient? Und: Was sollte ein Satiricum heute noch sammeln? Was ist der sensibel bezeichnete und kunstvoll bedruckte Papierkram, der hier gesammelt wird, im Hinblick auf die arrogante Übermacht technischen Größenwahns noch wert? Dabei versöhnt sich der Kleinmachnower mit dem Hier und Jetzt: „In einer Ausstellung, die in immer wieder zeichnerisch pointierter Form brandneu blitzgescheit buntgemischt brisanteste Aspekte dieser Gesellschaft behandelt, da ist Pessimismus wahrlich fehl am Platze.“ Er dankte Eva-Maria von Mariassy und ihrem Team für ihren Optimismus und ihr „Übermaß an freudiger Tatkraft“.
Dass Karikaturen im „Osten“ schon immer einen höheren Stellenwert als im „Westen“ besaßen, betonte der Kölner Dirk Meissner, der zur Einführung sprach. Ein Witz sei eine „Kombination aus Chaos und Kontrolle“, daraus könne Kritik erwachsen. Einige der 78 ausstellenden Künstler seien an das Thema „Alles unter Kontrolle“ sehr „locker“ heran gegangen; andere eher „ernst“. Eines aber eint alle Werke: Die immense Überwachung, Kontrolle und drohende Vorratsdatenspeicherung sowie deren Sinn und Unsinn könne nur noch durch die Verzerrung ins Groteske deutlich gemacht werden.
Die Triennale wurde musikalisch vom Duo „Take Too“ umrahmt, die eigens für die Eröffnung den „Alles-unter-Kontrolle-Boogie“ komponierten und aufführten.

Info: Die Abhörskandale liegen bereits ein Jahr zurück, abgehört wird aber immer noch. Britische Journalisten belauschten britische Politiker und Prominente und sogar die Queen am Telefon. Die National Security Agency der USA überwachte sowohl politische Gegner als auch politische Verbündete, sogar das Telefon der Kanzlerin. Es gibt von öffentlicher Hand installierte Überwachungskameras auf den Autobahnen und in den Städten. GoogleEarth fotografiert vom Satelliten aus und fährt durch die Straßen, um Häuser von oben und von außen fotografiert ins Netz zu stellen. Telefonate, Mails und private Fotos werden auf einem fremden Server mit unbekanntem Standort gespeichert, möglicherweise gehackt und wahrscheinlich sogar ausgewertet. Mit den Daten des Mobiltelefons und der Kredit- oder EC-Karte kann jederzeit ein Bewegungsprofil erstellt werden. Mit Paybackkarten wird das Kaufverhalten aufgezeichnet, und für die Hersteller erfüllt sich der Traum, einen völlig berechenbaren Kunden vor sich zu haben. Fitnessarmbänder zeichnen das Ernährungs- und Bewegungsverhalten auf, noch geschieht das freiwillig; irgendwann weiß es aber die Krankenversicherung. Computer in Kraftfahrzeugen zeichnen Fahrverhalten und Durchschnittsgeschwindigkeit des Fahrers auf; nur eine Frage der Zeit, bis Kfz-Versicherungen Einblick haben. Bald kann auch unsere Kleidung überwacht und die Daten unserer Socken effizient ausgewertet werden. Für jedes Individuum wird bald kein Name mehr stehen, sondern ein Algorithmus. Freiwillig geben wir intimste Angelegenheiten preis in ein Netzwerk, das nie vergisst. Diese immense gesellschaftliche Überwachung, Kontrolle und drohende Vorratsdatenspeicherung sowie deren Sinn und Unsinn kann nur noch durch die Verzerrung ins Groteske deutlich gemacht werden.
Über 70 namhafte deutsche Karikaturisten greifen das Thema auf und zeigen in dieser Ausstellung ihre Sicht auf die Geschehnisse. (Quelle: Sommerpalais Greiz)
Service:
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
Antje-Gesine Marsch @07.06.2015

Harald Kretzschmars SATIRICUM— Rede zu dessen 40. Jahrestag

Das Satiricum Greiz. Juni 1975.
Vor vierzig Jahren von Werner Becker Greiz und Harald Kretzschmar Kleinmachnow gegründet. Nach knapp zehn Jahren war mein Co-Gründer tot. Nun lebe ich schon drei Jahrzehnte als Mythos des Gründers einer Sache, die es nach der Legende von der allseits herrschenden Zensur der Diktatur gar nicht hätte geben dürfen. Ich bin eine Person, die es nach offizieller Lesart gar nicht geben dürfte. Das ist ein auf kuriose Weise übermächtiger Ansporn, weiter zu leben und zu wirken im Sinn eines sehr persönlichen Credo.

Hier stehe ich. Ich kann auch anders.
Ich komme nachweislich aus dem Gestern. Bin ich deshalb von gestern? Nein. Keineswegs. Ich zeichne und schreibe, rede und lebe heute. Ich blicke um mich, und sehe: Wir sind heute schüchterner als gestern. Wir? Ich weniger als das Wir. Das Wir, das den Zeitgeist markiert. Das Wir, das die kritische Instanz der Satire klein und im Abseits hält. Als Randerscheinung unseres Lebens. Als provinzielle Petitesse. Das Wir, das Größen wie Loriot vergöttert und sein namenloses Kleinvolk bestenfalls belächelt.

Die Massen? Sie berührt Kritik kaum.
Im täglichen Umgang lebt die Mehrheit der Leute witzlos und satirefern. Kaum einer kauft noch Bücher und Journale solchen Inhalts. Der erzählte politische Witz ist zur Schimäre verkommen. Politiker und ihre Lobbyisten lächeln und lachen ohne jeden Grund in jede Kamera. Witz und Geist schütteln sie einfach ab. Kabarettisten buhlen um Einschaltquoten. Die gezeichnete Satire sucht auf Nebenwegen ihr Ziel. Das von humorloser Werbung stumpf gewordene Publikum erwartet kichrige Streicheleinheiten. Die intellektuelle Elite lässt ihren Frust laut über alle Bühnen herausschreien. Komödianten? Das ich nicht lache…

Paris Charlie Hebdo. Januar 2015.
Vier unserer wackeren Mitstreiter werden von einer pseudoreligiös eingefärbten Lynchmafia blindlings hingemeuchelt. Die ganze Halbwelt ist als halbganze Welt höchst alarmiert. Alarm! Alarm! Alarm! So schreien Witztöter und Ironieleugner aller Couleur im Chor. Millionenfach stellen sie sich spontan vor die Satire, rücken an ihre Seite, der Prophet Mohammed tränenden Auges völlig daneben. Angesichts dessen muss die Satire in die Knie gehen. Sie strauchelt, aber niemand macht am nächsten Tag noch Aufhebens von ihr.

Nun liegt sie also danieder, die Satire.
Ist sie noch konservierbar im Museum? Ihre dort gesammelte gewaltige Potenz — kann sie ihr wieder auf die Beine helfen? Wir runzeln die Stirn: Liegt sie denn nicht eigentlich längst hinter uns, die scharf und brillant gezeichnete und tiefgründig pointierte Satire? Da stehen wir nun um sie herum, Feiernde zum Fest des Gewesenen. Trauernde zum Unwiederbringlichen. So wie es war, ist es nicht mehr. Wie aber wird es sein? Der normwidrige querbürstende Scherzbold, läuft er nun im Irrgarten der lustvollen Blödelei rund oder auf der Zielgeraden kritisch-ironischer Vernunft auf?

Na, wartet mal ab.
Wenn erst inoffiziell aufgepeitschter und offiziell geduldeter Unwille selbsternannten Volkes euch so recht Beine macht und in die rechte Ecke zurechtweist! Vorerst üben wir schon mal an griechischen oder ukraino-russischen armen Versuchskaninchen, ob unsere alten deutschen Stammtischparolen strichmännchenweise satirisierbar sind! Wissen wir denn, was wir im Namen der Pressefreiheit so alles tun dürfen? Alles unter Kontrolle? Tun wir denn überhaupt alles? Was ist denn dieses Alles?

Was wissen wir schon?
1975 glaubten wir zu wissen, was wir dringend brauchen: Ein Satiricum als Sammelpunkt kritischen Zeichnens. Es war unser alles. Wir mehrten es und zehrten davon. Inzwischen ist alles austauschbar. Wer fragt nach uns? Wer braucht uns? Wir gehen ins Internet, und werden auf den Websites der Karikatur mit Kübeln voll textüberladenem zeichnerischem Unrat überschüttet. Bildung kommt oft genug von Einbildung.Vom Ungefähr. Bilden und Ein-Bildvon-etwas-machen, das würde zusammen gehören. Jetzt fotografieren wir alles. Eins zu eins. Täuschend ähnlich. Alles geklont. Selfie bevorzugt. Uns genügt der oberflächliche Abglanz der Erscheinung. Ursachen? Beweggründe? Zusammenhänge? Was solls?

Hat Zeichnen als Zeichengeben ausgedient?
Das eben ist die aktuelle Frage. Verkehrszeichen sind ein notwendiges Übel und Satzzeichen Glücksache. Als der Mensch Ziffern und Buchstaben erfand, war er genial. Wenn der Mensch nur noch das kopierte Abbild anbetet, wird er zum Kretin. Millionenfaches Reproduzieren vorgefertigter Manga-Klischees ersetzt ihm das Finden von Eigenem. Wer ernsthaft für die Abschaffung der individuellen Handschrift plädiert, pfeift schon längst auf jede Zeichnung — ob nun als Vor-oder-Aufzeichnung. Nichts wird den anvisierten Norm-Menschen der Zukunft dann noch auszeichnen. Sein digital einzig geforderter Zeigefinger gleitet flüchtig über eine ständig neue und gleichzeitig schnell vergehende virtuelle Erscheinungswelt.

Was sollte heute ein Satiricum noch sammeln?
Ich muss mich doch heute fragen, was all der sensibel bezeichnete und kunstvoll bedruckte Papierkram, der hier gesammelt wird, im Hinblick auf die arrogante Übermacht technischen Größenwahns noch wert ist? Hier ist kritisch kommentierte Menschengeschichte aufbewahrt. Hier lacht der Mensch noch, hier darf er es sein. Der Mensch? Dieses mechanisch tätowierte rasierte handymanipulierte Wesen, wie menschlich ist es? Über einen originellen Witz lachen, und dabei Kunstgenuss haben, das ist doch was. Wer kann davon leben, etwas Komisches für uns aufzuzeichnen? Der Mensch soll immer länger leben, aber immer kürzer treten. Was immer er tut, ist alsbaldigem Verbrauch und Verfall geweiht. Was soll dazu ein Museum?

Blick zurück im Zorn, und finde das Heute prachtvoll!
So spricht der Zeitgeist. 1975 in diesen Breiten, das ist ideologisch kontaminiertes Gelände. Die Zensur des Unrechtsstaates soll uns in widerwärtigster Weise geknechtet haben, sagen die Geschichtsbücher, die schon längst auf die Bebilderung mit Karikaturen verzichtet haben. Ein dazumal problemlos zentral finanziertes Karikaturenmuseum namens Satiricum — das muss doch der reine Bluff gewesen sein. Ein Winkelzug des Klassenfeindes, um mal die damals übliche Terminologie zu benutzen. Vorsicht ist geboten. Hängt das zur Sicherheit mal niedriger. Der als Föderalismus kostümierte Provinzialismus wird es schon richten.

Freunde — bitte nicht diese Töne!
Das werden Sie jetzt zu rufen versucht sein. Ja, ich beherrsche mich ja schon. Der geübte Selbstzensor in mir rät zur Diplomatie. Aber nein. Ich sprach vom Menschen. Ich will es schlicht menschlich sagen: In einer Ausstellung, die so, wie wir es hier heute sehen, in immer wieder zeichnerisch pointierter Form brandneu blitzgescheit buntgemischt brisanteste Aspekte dieser unserer Gesellschaft behandelt, da ist Pessimismus wahrlich fehl am Platze. Ohne eine gewaltige Prise Optimismus, aber mit einem Übermaß an freudiger Tatkraft seitens seiner Chefin und ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sähe dieses Haus nicht so aus, wie wir es im Moment erleben. Das muss unbedingt ohne jede Einschränkung gesagt werden. Danke, Eva Maria von Mariassy, vielen herzlichen Dank für Ihren Einsatz.