Cid Jonas Gutenrath liest in Greizer BibliothekCid Jonas Gutenrath liest in der Greizer Bibliothek aus seinem Band "110 - Ein Bulle hört zu"

Man glaubt gar nicht, wer alles in einer Notrufzentrale anruft.
GREIZ. Cid Jonas Gutenrath hatte sie wohl schon alle am anderen Ende der Leitung – den Fünfjährigen, der seine Mutter so schmerzlich vermisst, den eiskalten Mörder, der während seines Freigangs die untreue Geliebte mit der Axt erschlägt, die Selbstmörderin, die aus Eifersucht den Freitod wählt, den Tierfreund, der seinen Stubentiger beim Katzenhasser-Nachbarn befreien will oder den Schwulen, der in Berlin-Tiergarten von zwei Glatzen überfallen wird. Eines haben die Fälle, die Cid Jonas Gutenrath – der zehn Jahre lang in der Notrufzentrale Berlins seinen Dienst versah – am Donnerstagabend in der Bibliothek vorlas gemeinsam: sie sind entweder schrecklich lustig oder atemberaubend schrecklich. Es wird wahrlich kein Kunstgenuss, was Sie heute erwartet, kündigte der Autor des Buches 110 ein Bulle hört zu an. Von niedlich bis gefährlich reiche die Palette, wie er versicherte.
In Berlin gibt es 16000 Polizisten, 3000 Anrufe über die Notrufzentrale gehen innerhalb von 24 Stunden ein, 1500 davon lösen Einsätze aus, führte Gutenrath in die Thematik ein. Dass er Nerven wie Drahtseile hat, glaubt man ihm von der ersten Minute an. Einfühlsam, auch gern cool und kaltschnäuzig, aber immer mit viel Ironie, erweckt er den Eindruck, dass er wohl in (fast) jeder Situation die korrekte Vorgehensweise kennt. Eigene Erlebnisse lässt Gutenrath gern in die Erzählungen einfließen, so etwa über seine Frau, seine drei Zwerge oder seinen geliebten Hund Pepe. Ohne den beliebten Fingerzeig wirkt der 47-Jährige manchmal sogar philosophisch, durchaus auch gesellschaftskritisch – immer aber ehrlich und geradlinig. Durch die vielen kleinen Kapitel jedes steht für einen Anruf kann man das Buch nach Lust und Laune von vorn, gern auch von hinten lesen.
Die meisten der geschilderten Fälle sind nichts Normales oder alltägliches und ließen die Zuhörer an manchen Stellen ganz schön schlucken, oft aber auch enthemmt loslachen. Situationskomik bewies der sympathische Bulle, als draußen die Sirene eines Polizeiwagens zu hören war: Sie spielen unser Lied“.
Dass ihm der zum Bestseller avancierte Band nicht nur Freunde einbrachte, verschwieg Gutenrath nicht. Eher Feinde. An seiner Wohnungstür sei deshalb auch kein Namensschild angebracht.
Natürlich hatten die Besucher der Veranstaltung, die im Rahmen der KrimiTage Vogtland stattfand, im Anschluss viele Fragen. Ja, die Gespräche in der Notrufzentrale werden ausgewertet, wie Gutenrath einer Zuhörerin antwortet: Lief etwas schief, so ist das meine Schuld, ging alles glatt, lobt sich die Polizei, rechnet er auch mit ärgernissen ab. Dass diese Publikation das Polizeibild in der Öffentlichkeit richten soll, nennt der Autor als einen der Gründe, das Buch geschrieben zu haben. Dabei geht er auch der Frage nach Wie gehen wir mit unseren Fehlern um?.
Die Entstehung sei auch eine Art Eigentherapie gewesen und mit keiner Silbe habe er nach Kalkül gehandelt. Man wird wahrlich nicht reich davon, wie er lächelnd gestand.
Dabei steht sein nächstes Werk schon in den Startlöchern. Seit anderthalb Jahren arbeitet Gutenrath bei einer Polizeihundestaffel. Was er dabei erlebt, wird man im neuen Band nachlesen können.

Antje-Gesine Marsch @24.05.2013