Postkarten/Fotos/Dokumente – Greiz 20.JahrhundertDas Biedermeierzimmer im Museum des Unteren Schlosses Greiz.

Dietrich Langheinrich schildert seine Erinnerungen an Fräulein Klopfer, das Museum und Hermine im Unteren Schloss

GREIZ. Die Erinnerungen des gebürtigen Greizers, Dieter Langheinrich und Bewohner des Unteren Schlosses, gehen zurück in die 30er und 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts:

„Eine Attraktion war das Museum im Unteren Schloss. Es wurde geleitet von Fräulein Klopfer, die ebenfalls im Schloss wohnte. Der Eingang zum Museum war gegenüber der Stadtbücherei. In den drei Räumen auf „unserem“ Schlossflügel war eine recht umfangreiche Steinsammlung untergebracht, an die anderen beiden Räume kann ich mich nicht recht erinnern.

Über ein paar Stufen ging es dann in den Haupttrakt des Museums im Hauptflügel des Schlosses, dessen Hauptraum mit einem großen Modell der Stadt Greiz mich immer wieder beschäftigte.
In den letzten Kriegsjahren war in diese Räume ein Kaufhaus aus Köln ausgelagert. Nach dem Kriege sah ich eines Tages eine größere Menschenmenge auf das Haupttor zulaufen. Sie wollten offensichtlich das Kaufhaus plündern. Geistesgegenwärtig habe ich das Haupttor abgeschlossen, nicht zuletzt, weil ich auch Übergriffe auf unsere Wohnung befürchtete. So unterblieb die Plünderung. Den Kaufhaus“managern“ wurde dies später berichtet – sie waren jedenfalls zu dem entsprechenden Zeitpunkt nicht an ihrem Arbeitsplatz.

Ich wurde eingeladen, es wurden große Lobeshymnen gesungen. Zu allem Überfluss wurde ich dann auch noch belohnt: ich durfte mir als Dank für die Rettung des gesamten Warenlagers etwas aussuchen- aber nicht irgendetwas, sondern unter den Socken konnte ich mir ein Paar auswählen. Darauf habe ich aber – aus Wut – verzichtet. (Wir hatten wirklich nicht viel anzuziehen), aber dieser Grad von Schäbigkeit war mir dann doch zu viel.
Und später musste ich immer wiederfeststellen, dass eine solche Grundeinstellung in den Führungsetagen keinen Seltenheitswert hat.

Nebenbei: es wäre mir durchaus möglich gewesen, in diese Räume zu gelangen, um mich zu bedienen. Aber moralisch war das außerhalb der Denkmöglichkeiten, obwohl das wahrscheinlich keiner gemerkt hätte. Schließlich war ich ja auch kein Manager.
Ella Klopfer hatte die Wohnung im Erdgeschoss, die dem Hofeingang gegenüber lag. Die niedrigen Räume mit dem herrlichen Kreuzgewölbe hatten es mir besonders angetan. Sie lagen über dem Luftschutzkeller, wurde aber wegen des starken Gewölbes als recht sicher eingeschätzt, so dass ich in den vierziger Jahren viele Stunden in diesen Räumen statt im Keller verbrachte. Es war – bedingt durch die isolierte Lage – dort auch möglich, BBC (British Broadcasting Corporation) zu hören, denn deren Kennung war ein tiefes „Bumm-Bumm-Bumm-Bumm – Here is London calling Germany“, die gut geeignet war, einen „Feindhörer“ zu entlarven. Ich war der einzige, dem Fräulein Klopfer vertraute, und so erfuhr ich, abweichend von den „großdeutschen“ Siegesmeldungen Neues aus der anderen, der Feindes-Welt.

Was mich damals sehr beunruhigte, waren die Meldungen vom Vormarsch der Alliierten, die Möglichkeit einer Niederlage der Deutschen. Ella Klopfer sah das weniger tragisch, aber so offen sprach sie denn doch nicht mit mir – das war ihr wohl denn doch zu gefährlich.

Eines Tages traf ich sie mit völlig verklärtem Gesichtsausdruck an. Sie kaute genussvoll, mit verklärten Augen ein etwas ovales Gebilde, die sie aus einer bräunlichen Hülle pellte. Man konnte ihr ansehen, dass sich eine andere Welt für sie öffnete. Es fiel ihr sichtlich schwer, mir auch eine von diesen unglaublichen Köstlichkeiten abzugeben. Diese hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit Kastanien. Aber was sollte schon daran köstlich sein – das Zeug sammelten wir zentnerweise für die Förster, von denen wir irgendeine kleine Entlohnung erhielten. Gekostet hatte ich sie noch nie, hatte aber auch noch nie von anderen gehört, dass man sie essen könne. Ella Klopfer erklärte mir aber, dass sie diese Kostbarkeit aus Italien erhalten hatte (das war schon etwas Besonderes) und dass es sich nicht um Kastanien handele, sondern um Esskastanien. Ich versuchte also diese Spezialität und konnte ihr dann ohne weiteres die restlichen Früchte neidlos überlassen. „Wat de Bur nich kennt, dat freetr nich.“

Ella Klopfers Wohnung war ein Museum, steckte voller Erinnerungen an vergangene Zeiten. Was mir besonders imponierte, war eine Uhr unter einer Glasglocke, deren Pendel kreisförmig um ein Zentrum schwang. Ella Klopfer lebte offensichtlich zu einem größeren Anteil in vergangenen Jahren. Sie war eng verbunden mit der Fürstenfamilie Reuß Ältere Linie. Bis in die späten Kriegsjahre machte Hermine, eine Tochter des letzten Fürsten, zweimal im Jahr Station in Greiz. Sie war mit dem letzten Kaiser – Wilhelm II. in zweiter Ehe verheiratet und fuhr von Doorn zu
ihren östlich gelegenen Gütern. Dann war Ella, sie fungierte offenbar als eine Art Kammerfrau, in Hochform. Hermine belegte im Schloss im Haupthaus die erste Etage vom Wintergarten bis zum Schlossende (Richtung Gymnasium).
Ich war tief beeindruckt von dem Auto, mit dem sie chauffiert wurde (soweit ich mich erinnere, war es ein Horch mit einer unglaublich langen Kühlerhaube). Sie gab Empfänge, viele Neugierige drängten sich, um sie zu sehen und beeindruckend war auch der Betrieb in der großen Küche im Erdgeschoss.“

Dieter Langheinrich

Zur Vita:
Dietrich Langheinrich wurde 1930 geboren und wohnte im Greizer Unteren Schloss. Nach dem Abitur an der Erweiterten Oberschule „Dr. Theodor Neubauer“ musste er sich in der Produktion „bewähren“, um den „Kontakt zur Arbeiterklasse“ zu erlangen. Vom Chemiewerk aus bewarb sich Dieter Langheinrich um einen Studienplatz für Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. Zu seiner Überraschung erhielt er den Platz und wählte als Hauptfach Psychologie, da damals Theaterwissenschaft nur ein Nebenfach war. Aufgrund einer Denunzierung wurde er am 1. Weihnachtsfeiertag 1953 von der Staatssicherheit im Unteren Schloss wegen einer „Auskunft“ abgeholt, aber erst nach einer dreijährigen Zuchthausstrafe wieder entlassen. Nach einem Aufenthalt im Haftkrankenhaus wählte er den Wohnort seiner Verlobten (Berlin), um mit ihr wenig später dem real existierenden Sozialismus den Rücken zu kehren.
Sein Studium setzte er in Münster fort, erhielt dort sehr interessante Arbeitsmöglichkeiten und zog erst nach der Pensionierung im Jahr 1995 nach Schleswig-Holstein in die Nähe zur Ostsee und dänischen Grenze um. Dort lebt er noch heute.

P.S.
Lieber Herr Langheinrich, herzlichen Dank für Ihre wiederum äußerst interessanten Ausführungen. Sollte es Ihre Zeit erlauben, sind wir für Ihre wertvollen Erinnerungen immer sehr dankbar.
Beste Grüße aus der Schloss-und Residenzstadt Greiz

Antje-Gesine Marsch @04.02.2017

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