Er lebte Sprache - in Memoriam Dr. Frank ReinholdSybille Sturm hält das Buch stolz in der Hand.

Buch „Er lebte Sprache“ über Dr. Frank Reinhold in Greizer Bibliothek vorgestellt

GREIZ. Es war Sybille Sturm anzumerken, dass sie emotional bewegt war und mit den Tränen zu kämpfen hatte. Auf den Tag genau vor drei Jahren erlag Dr. Frank Reinhold den Folgen eines schrecklichen Verkehrsunfalls an der „Fortuna“. „Jeder kannte ihn auf seine ganz eigene Art und Weise“, wie sie am Donnerstagabend in der Greizer Bibliothek den Anwesenden bescheinigte, die zur Vorstellung des Bandes „Erlebte Sprache – In Memoriam Dr. Frank Reinhold“ kamen. Frank Reinhold war als regionaler Geschichts- und thüringischer Namensforscher weithin bekannt.

Mit dem Obergeißendorfer verband Sybille Sturm eine langjährige Freundschaft. „Er war ein stiller, bescheidener, aber immer hilfsbereiter Mensch“ charakterisierte sie den Freund. Im privaten Bereich war er dafür bekannt, dass er innerhalb kürzester Zeit oder sogar aus dem Stehgreif reimen konnte. Und das zu den unterschiedlichsten heiteren oder ernsten Themen.“Seine E-Mails zierten zum Beispiel immer kleine Gedichte, Geschichten oder Sprüche“ erinnerte sich die Greizerin. Da kam ihr die Idee, die kleinen litararischen Köstlichkeiten, von denen es eine ganze Anzahl gab, in einem Buch zu veröffentlichen. In Bärbel Tröber vom Verein Dialog mit Böhmen, Udo Hagner vom Vogtländischen Altertumsforschenden Verein, Dr. Hans-Jürgen Beier vom Verlag „Beier & Beran“ sowie Mitgliedern des Freundeskreises fand sie engagierte Mitstreiter, die ihren Traum verwirklichen halfen.

Udo Hagner verlas einen sehr berührenden Text, der nicht nur den begnadeten Heimatdichter und Sprachwissenschaftler in den Fokus rückte, sondern vor allem auch den Menschen Frank Reinhold. Susann Müller trug zwei Texte des Obergeißendorfer vor, in denen zum einen die „witzige“ und zum anderen die „melancholische“ Facette des Dichters zum Tragen kam.
Ebenso hatte Hans-Georg Ströher ein Gedicht mitgebracht, das er verlas. Ihm war es zu verdanken, dass das Greizer Volkskunstensemble zu einem neuen Sänger kam. „Das Ensemble war für ihn wie eine Familie“ betonte Ströher. Das bestätigte auch die Vorsitzende, Brigitte Weber. „Wir ahnten zuerst gar nicht, was für eine Koryphäe sich in unseren Reihen befand“.

Ihm zu Ehren trugen die Choristen an diesem Abend einige Stücke vor. Unter Leitung von Karlheinz Naumann und der Begleitung von Christiane Lorenz am Klavier erklangen die Stücke“ Wo Musik sich frei entfaltet“, aber auch „Greiz, teure Heimat“ und die „Hymne“ des Vogtlands „Dr Vugelbeerbaam“. Abschließend überreichte Sybille Sturm der Greizer Bibliothek einen Nachlassordner mit Schriften von Dr. Frank Reinhold.

Hier zum Nachlesen die ausführliche Rede von Udo Hagner:

„Liebe Freunde von Frank, sehr geehrte Damen und Herren,

unser Zusammentreffen am heutigen Tag und an dieser Stelle vereinigt uns aus
verschiedensten Gründen, die dennoch miteinander untrennbar verwoben sind
und letztlich einander bedingen, freudigen und traurigen Ursachen und
Wirkungen und insbesondere mit einer Person: Frank Reinhold.

Zunächst: Die dankbare, freundschaftliche Erinnerung an Frank (Frank Reinhold). Ich gehe sicherlich nicht fehl in der Annahme, dass wir alle diesem großen, aber in jeder Hinsicht auch vielseitigen, Menschen nahe standen.
In meinem Leben war er so selbstverständlich, dass ich nicht einmal mehr weiß, wann wir uns kennenlernten, mutmaßlich im Greizer Archiv anlässlich meiner ersten Recherchen zur reußischen Rechtsgeschichte in der Mitte der 1980er Jahre.

Desweiteren: Sein Tod heute vor 3 Jahren an den Folgen eines tragischen Unfalls, der uns alle erschüttert hat und dessen Nachwehen wir noch immer spüren. Wie auch immer dieser Verkehrsunfall an der Fortuna geschah, letztlich beruhte er auf dem größten Fehler von Frank: nach einer Reihe von Anläufen, doch noch die Führerscheinprüfung bestanden zu haben…

Und: Die heutige Präsentation eines Gedächtnisbandes, herausgegeben von der Redaktion einiger Mitglieder des Freundeskreises unter maßgeblicher Federführung von Frau Sybille Sturm. Insbesondere ihr haben wir die Initiative zu unserem Kennenlernen, unseren Gesprächsrunden und zu dem nunmehr – und hoffentlich in Aller Würdigung erfolgreich – beendeten Buchprojekt zu verdanken.

Anschließend möchte ich mich – Keine Angst! Nur kurz und durchaus auch aus privater Sicht – einigen Facetten seiner Persönlichkeit widmen. Und vielleicht verstehen Sie es als Anregung, auch uns heute Ihrer Erinnerungen an Frank teilhaftig werden zu lassen.

Wohl keiner kannte Frank völlig, viele kannten eine oder mehrere Seiten von ihm. So war es – so hatte ich zumindest den Eindruck – für alle eine Überraschung, wie groß sein Freundes- und Korrespondentenkreis in der Tat war. Manche kannten Mehrere oder wussten zumindest von Ihnen, viele wohl kannten nur Wenige. Aber alle teilten den gleichen Eindruck: er war immer gerade für sie da, man hatte – trotz ggf. besseren Wissens – sogar das Gefühl: Er war nur für mich den Einen da.

Wenn auch mit Frank letztlich sein ungeheures Wissen um die Region in Verlust geraten ist, vollzog sich dieser Prozess dennoch schleichend, aber in immer wieder neuen Schicksalsschlägen.
Zunächst traf ihn das – insbesondere finanziellen Sachzwängen geschuldete – vorzeitige Ende der Herausgabe des Thüringischen Wörterbuches. Diese Aufgabe hatte ihm nach einem, mit durchaus wenig Begeisterung getragenem Lehrerdasein, beruflich volle Erfüllung gebracht, noch gesteigert durch seine vielfältigen Veröffentlichungsmöglichkeiten, insbesondere im Greizer Heimatboten. Mit der Einstellung des genannten Wörterbuches war verbunden der Verlust der Hoffnung auf eine adäquate wissenschaftliche Betätigung bis zum Ruhestand – eher dem anzunehmenden Unruhestand des Pensionärs. Fortan hatte er es schwer, eine ihn befriedigende Tätigkeit, nicht zu finden, aber zu erhalten. Letztendlich gelang es nur noch einmal im Zusammenwirken des historischen Bauforschungsbüros von Lutz Scherf und dem Thüringischen Staatsarchiv Greiz im Rahmen eines befristeten Projektes ihm durch einen mehrmonatigen Recherche- und Archiveinsatz noch eine gewisse Befriedigung zu verschaffen.
Weitere Freude und Genugtuung bereitete ihm im Zusammenwirken mit seinem Freund Günter Hummel, dessen Tod kurz vor seinem eigenen 60. Geburtstag ihn aufs Schwerste getroffen hat, die Arbeit und Herausgabe vieler Hefte des „Kleinen Sakralen Kunstführers“. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Mitteldeutsche Familienforschung war er einige Jahre als Herausgeber der Ortsfamilienbücher der AMF tätig und dem Degener Verlag Insingen – sowie der gesamten Leserschaft – diente er mehrjährig als Schriftleiter der Zeitschrift „Familie und Geschichte“. Und wöchentlich widmete er einen Arbeitstag dem Stadtarchiv von Berga/Elster.
Dennoch beraubte ihn die Einstellung des Greizer Heimatboten, zu dessen Stammautoren er seit Jahrzehnten zählte, der Möglichkeit, Vieles – und insbesondere zur Orts-, Familien- und Regionalgeschichte sowie zur Volkskunde – noch darzustellen und der Öffentlichkeit zu hinterlassen. Wie viele Manuskripte sind noch nicht veröffentlicht? Derzeit weiß es keiner. Wie viele Manuskripte waren vielleicht angedacht, wurden und werden nicht (mehr) geschrieben?

Aus diesen Gründen können wir nur unendlich dankbar sein, dass er nicht nur ein freigiebiger Informant aus seinen Quellen mit vorbildhafter Zeitnähe, sondern auch ein unermüdlicher „Vielschreiber“ war. Nach eigenem Bekunden anlässlich seines 60. Geburtstages waren es zuletzt mehr als 3.000 Veröffentlichungen. Ihre Erfassung dauert an und wenn seine eigene Bibliographie nicht mehr auftauchen sollte, wird die Erfassung wohl kaum jemals vollständig sein. Nun hat zweifellos nicht Alles dauerhaften Bestand, dennoch hat er der regionalen historischen Forschung und Ortsgeschichte einen unbezifferbaren Schatz hinterlassen. Und solange sich in dieser Region und räumlich auch darüber hinaus jemand mit deren Geschichte und Landeskunde beschäftigen wird, bleibt der Name Frank Reinhold und letztlich auch der Mensch Frank Reinhold dahinter ein Begriff und in solcher Hinsicht nachwirkend und lebendig.

Habe ich mich zunächst dem Wissenschaftler und Autor Frank gewidmet, möchte ich mich nun dem Menschen und Freund nähern.
Seinem Heimatort Obergeißendorf galt seine Treue. Trotz auswärtiger Schulzeit in Wickersdorf, Studium in Potsdam, dem ungeliebten Lehrerdasein in Sachsen und in Crossen/Elster, aber auch der heißgeliebten Tätigkeit am Thüringischen Wörterbuch in Jena, war Obergeißendorf nicht nur Heimat, sondern blieb sie auch. Er nahm es und alle Erschwernisse auf sich, in Jena in Untermiete zu leben, um nicht Obergeißendorf aufgeben zu müssen. Auch als er nach dem Tod der geliebten Mutter und der Katze Frieda – auch diesen Beiden muß an dieser Stelle ausdrücklich gedacht werden, da sie in seiner Lebenswelt von überragender Bedeutung waren und Eingang in mehrere Veröffentlichungen fanden – die Möglichkeit gehabt hätte, anderswo sein Glück zu suchen, konnte er sich vom Ort nicht trennen.
Leider war es ihm nicht vergönnt, eine – alles tolerierende oder besser noch teilende – Partnerin zu finden und eine Familie zu gründen, auch hatte er keine näheren Verwandten mehr vor Ort. Dennoch gelang es ihm aufgrund seines sozialen und medialen Netzwerkes mit Freunden und Gleichgesinnten immer wieder zumindest für einige Stunden des Tages der drohenden Einsamkeit zu entfliehen. Dazu dienten ihm neben der persönlichen Freundschaft mit Günter Hummel, Andreas Harnisch und der Familie Grämer in Plauen, Dr. Gerhard Hempel in Jena, Frau Brigitte Rau in Mehla, mit seinem früheren Arbeitskollegen Dr. Rainer Petzold in Tanna – inzwischen ihm nachgefolgt –, den Kolleginnen und Kollegen im Staatsarchiv Greiz und auch mit meiner Frau, – und ich bitte diejenigen um Entschuldigung, die ich an dieser Stelle nicht genannt habe, die sich aber auch dazu zählen durften – häufigen medialen Kontakten mit Herbert Kaden in Freiberg, sowie die enge vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Werdauer Museumsdirektor und Verleger Dr. Hans-Jürgen Beier in Langenweissbach. Diesem letzteren Umstand haben wir es zu verdanken, dass er als Verleger uneigennützig, unorthodox und flexibel trotz eines völlig anderen Verlagsprofils uns heute eine materielle Verkörperung dieser Gedenkveranstaltung zur Verfügung stellt. Unser – und hoffentlich auch Ihrer – Dank ist ihm gewiss.
Zu den vorgenannten Kontakten müssen auch Franks vielfältigen Aktivitäten in verschiedensten Vereinen unterschiedlicher Ausrichtung gezählt werden: 22 Jahre Vorstandsmitglied im Vogtländischen Altertumsforschenden Verein zu Hohenleuben, mehrjährige Vorstandstätigkeiten im Verein „Dialog mit Böhmen“ und in der Arbeitsgemeinschaft „mitteldeutschwer Familienforscher“, sowie als langjähriges Redaktionsmitglied des Greizer Heimatboten. Aktiv war er auch im Heimatverein Waltersdorf, dessen Kalender er gestaltete, im Volkskundeensemble – welches uns gerade einen schönen Eindruck seines Könnens gab –, im Heimatverein Berga/Elster. Die Aufzählung kann – ja wird – durchaus unvollständig sein.

Und wohl die übergroße Mehrheit Jener, die ihm Rahmen seiner Aktivitäten in vorgenannten Vereinen, Tagungen oder sonstigen Veranstaltungen und Ortsjubiläen – wie auch hier in Greiz – in den Bannkreis seiner Persönlichkeit gerieten, wird die Erinnerung an ihn unvergänglich bewahren.

Ein dritter Aspekt bedarf noch der Erwähnung: seine Liebe zum gereimten und mundartlichen Wort. In Sekunden konnte er reimen, mich außen vor lassen und mit meiner Frau und sicherlich auch Anderen in mündlichen Dialog treten. Leider lebt davon nur noch die Erinnerung. Bei Herrn Kaden aus Freiberg lebt sie zumindest noch im Computer.
Eine weitere Neigung bestand neben der hochdeutschen auch zur russischen Sprache, deren Orthographie und Grammatik er – auch zu meinem Neid – freilich in Perfektion beherrschte; da waren zudem Englisch und zumindest in Ansätzen auch Schwedisch und Tschechisch. Und das war „Obergeißendorferisch“ – die exakte Bezeichnung der Mundart dieses kleinen exotischen Volksstammes im Rahmen der südostthüringisch-indoeuropäischen Sprachfamilie kenne ich leider nicht. In dieser hat er einige Werke von Wilhelm Busch erst zu endgültiger Vollendung geführt. Weitere Perlen können Sie ab jetzt in unserem kleinen Büchlein genießen.
Er wusste um die Wirkung von Sprache, er hat sie auch eingesetzt um zu necken, wusste er doch um meine umfang- und erfolgreiche Verdrängung jeder Erinnerung an die russische Sprache. Aber darin war er auch zu schlagen: es wurmte ihn merklich, dass er eine Weihnachtskarte in grusinischer Schrift nicht entziffern konnte, er verwechselte es mit Laotisch, obwohl er einen Georgier kannte. Die Steigerungsform in arabischer Schrift und Sprache war dann leider nicht mehr zu verwirklichen. Diese Rache verdiente er schon deshalb, weil er mit einem einzigen Satz („Vorsicht, das beißt!“) die jahrelangen Bemühungen meiner Frau um Überwindung ihrer Angst vor Pferden auf einmal und nachhaltig zunichte zu machen wusste.

Er liebte Sprache, er lebte Sprache und erlebte Sprache – hier zusammengeschrieben – mehr als ein Wortspiel.
Und da er Sprache liebte und den Umgang mit ihr, war er stolz auf seine, wenn auch entfernte, Verwandtschaft mit Friedrich Nietzsche und den Gebrüdern Schlegel, allesamt „Wortgewaltige“.
Er liebte Sprache: Sei es, dass er sie niederschrieb, dann blieb sie uns auf Dauer erhalten, sei es, dass er sie in – mindest einem Radiointerview – und in einen Youtube-Video auch in seiner unnachahmlichen Stimmlage und Sprachfärbung für uns bewahrte, sei es, dass er sie bei gemeinsamen Treffen und Spaziergängen gern auch in gereimter Form aus dem Stegreif fabrizierte, daran bleibt uns nur die Erinnerung. Und da er sie liebte, die Sprache, so lebte er sie auch. Folglich wurde der Buchtitel bewusst auch gerade so gewählt.

Ihm würde er gefallen – und wer weiß: Vielleicht wird es ihm gefallen – dass wir heute hier sind, um gemeinsam über ihn zu sprechen.
Aber ich bin mir sicher, noch um Vieles lieber wäre es ihm, heute hier mit uns zu plaudern und zu reimen …

Ich danke Ihnen; wir danken Dir, Frank!“

Antje-Gesine Marsch @16.07.2016