Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD)Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) referiert bei »Prominente im Gespräch« im Greizer »Bücherwurm«

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) referiert bei Prominente im Gespräch im Greizer „Bücherwurm“
GREIZ. Er gilt als Charmeur, politisches Stehaufmännchen und „Bürgermeister zum Anfassen“: Klaus Wowereit – seit 2001 „Regierender“ von Berlin und seit 2009 Stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Auf Einladung von Harald Seidel weilte der Politiker am Freitagabend in Greiz. Dem Vortrag „Berlin, Deutschland und Europa im 21. Jahrhundert. Eine politische Standortbestimmung“ war ein Stadtrundgang mit dem Bürgermeister der Stadt Greiz, Gerd Grüner (SPD) und Vertretern des Greizer SPD-Ortsvereins sowie der Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Greiz im Rathaus vorausgegangen. In der Buchhandlung „Bücherwurm“ hatte sich indessen eine Vielzahl Interessierter eingefunden. Wowereit bekannte zu Beginn, das erste Mal in Greiz zu sein; die Stadt sei „historisch in ihrer Konsistenz“, habe „Charme und Charakter“. Dank der „Beharrlichkeit von Harald Seidel“ habe er nun den Weg hierher gefunden. „Was sind Gottschalk oder Illner?“ setzte er einen heiteren Seitenhieb auf die Fernsehsendungen, in denen er kürzlich zu sehen war. Vor seinen Vortrag setzte Wowereit die Aufforderung, am Sonntag vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Harte Kämpfe“ seien notwendig gewesen, diese Freiheit zu bekommen: „Es ist einfach wichtig, zur Wahl zu gehen.“ Die Politik sei am Unmittelbarsten direkt in den Kommunen – weil vor Ort – zu erleben.
Beginnend bei der Finanzkrise, die Deutschland im Jahr 2008 beutelte, stellte der Politiker aber auch die Frage, wer die Krise überhaupt gespürt habe. „Kaum einer“, so Wowereit. Spätestens seit dem geplatzten Bildungsgipfel im Jahr 2009, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit leeren Händen dagestanden hätte und dem „gestrickten Rettungsschirm“, der den Banken zur Verfügung gestellt wurde, sei er stutzig geworden. Beim Bildungsgipfel ging es um eine Milliarde Euro, beim „Hilfspaket für die deutschen Banken“ um 480 Milliarden, setzte Wowereit ins Verhältnis. „Wir haben zum heutigen Zeitpunkt fast eine ähnliche Situation“, wie er erklärte. Doch Deutschland merke wieder nichts, es sei Prosperität angesagt. Warum solle man aber Griechenland unterstützen? „Deutschland hat von dieser Krise auch profitiert“, gab Wowereit zu bedenken; mittlerweile kämen Investoren lieber in deutsche Lande.
Wowereit ging aber auch auf Themen wie Armut und Solidarität ein. „Noch nie war die Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich so groß wie jetzt.“ Doch dürfe Armut nicht dazu führen, in Interessenlosigkeit zu versinken. Der „Aufstiegswille“ sei völlig „vor Schutt“ gegangen. „Fleiß, Anstrengung und Willenskraft müssen sich lohnen“, zog er eine Parallele zum eigenen Leben. Er sei aus einfachen Verhältnissen gekommen und habe sich „nach oben geboxt“.
Zum Thema Internet führte er ins Feld, wie groß dessen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben sei. „Wir kommen nicht mehr hinterher.“ Man müsse aber auch erkennen, dass in diesem Netzwerk kein geistiges Eigentum geschützt werden kann.“Dazu wird es sicher noch harte Auseinandersetzungen geben“, wie er vorausschaute. Einen Blick auf das Europa des 21. Jahrhundert warf Wowereit ebenfalls: Deutschland ist elementar von Europa abhängig; es wäre aber auch fatal, wenn eines der EU-Länder herausbrechen würde. Doch müsse über viele Grundsatzfragen diskutiert werden. Beispielsweise zum Thema Zuwanderung. Wir brauchen Zuwanderer, jedoch in einem Klima, wo sich die Menschen wohlfühlen und akzeptiert werden. Nur eine offene Gesellschaft kann existieren, brach Klaus Wowereit eine Lanze für die friedliche Konsensfindung. Vielfalt sei keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. Ich glaube noch immer an die Kraft des Guten.
Dem Vortrag schloss sich eine intensive Diskussionsrunde an. Sozialministerin Heike Taubert (SPD), die diese Veranstaltung unterstützte, sprach über die Verunsicherung der Menschen in Hinblick auf die Thüringer Neonazi-Zelle, deren Existenz dem Verfassungsschutz schon lange Zeit bekannt war. Was sollen wir überhaupt noch glauben? stellte Taubert in den Raum. Wowereit stimmt ihr zu, dass manche Auseinandersetzungen verharmlost würden. Er fand es ebenfalls suspekt, dass die Morde, die man den Neonazis zuordnet, nicht als solche erkannt worden sind. Die Sensibilisierung der Bürger muss wachsen, so der Politiker: eben nicht wegsehen, wenn gerade in Berlin Menschen in der U-Bahn brutal zusammengeschlagen werden. Wenn Leute dabei wegschauen, ist etwas faul, mutmaßte Wowereit. Er fordert eindringlich das Verbot der NPD, wohlwissend, dass das braune Gedankengut damit nicht aus den Köpfen geräumt wird, doch gehe es ihm gerade im Wahlkampf- um die Steuergelder, von denen die NPD auch profitiere. Eine Demokratie muss auch wehrhaft sein, wie der Politiker unterstrich.
Auf das Haushaltloch, das in Greiz in einer Höhe von 1,7 Millionen im diesjährigen Haushalt klafft, ging Wowereit ebenfalls kurz ein. Es bestünde erfahrungsgemäß tatsächlich die Gefahr, dass Dinge, die keine Pflichtaufgaben sind gestrichen werden, wie er in Hinblick auf Bibliotheken oder Museen befürchtet. Das wiederum monierte das Publikum.

Antje-Gesine Marsch @20.04.2012