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Das bekannteste Gesicht der Linken denkt über Deutschland nach

Gregor Gysi bei »Prominente im Gespräch« auf dem Oberen Schloss Greiz

Der Referent der Veranstaltung »Prominente im Gespräch«, Dr. Gregor Gysi bei seinem Vortrag Nachdenken über Deutschland im Fürstensaal des Oberen Schlosses Greiz.

Gregor Gysi bei »Prominente im Gespräch« auf dem Oberen Schloss Greiz
GREIZ. „Mit diesem Ansturm hätte man rechnen müssen“, monierten enttäuschte Bürger, die am Samstagabend den Schlossberg erklommen hatten, um die Veranstaltung „Prominente im Gespräch“ mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi zu besuchen. Denn eine Vielzahl derer musste verärgert den Rückweg antreten, weil die Kapazität des Großen Fürstensaals schnell erschöpft war.
Im Mittelpunkt des Abends stand das Buch „Nachdenken über Deutschland“, aus dem Gysi nicht etwa vorlas, sondern ohne Manuskript oder Stichpunkte Fakt an Fakt reihte und ein breites Spektrum an Themen offerierte, die von der „Vereinigung“ der beiden deutschen Staaten; über den Abzug der Atomwaffen, den Deutschland zu 20 Prozent mitfinanziert; den längst fälligen NATO-Austritt; das Duckmäusertum der Bundesregierung gegenüber den USA bis hin zur Vermögenssteuer der Reichen, den niedrigen Mindestlöhnen und unangepassten Renten, der Schulbildung und zur Lage auf der Krim reichten. Wenn Gysi spricht, versteht auch der politisch Ungebildetste die Welt. Mit messerscharfen Argumenten und brillanter Rhetorik verstand der 66-Jährige, eine Vielzahl politischer Tatsachen und Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen. Etwa die Wiedervereinigung: Was mich wirklich ärgert, ist, dass wir keine Vereinigung hatten und dass die Menschen in den alten Bundesländern keine Vorteile nachvollziehbar erhalten haben. Etwa zehn Sachen, die im Osten gut waren hätte man im Westen übernehmen sollen, etwa die Polikliniken oder die Hortbetreuung. Man hat ihnen einfach keine Erfahrungen gegönnt, scherzte der Politiker. In puncto Bildung sei man von einer Chancengleichheit meilenweit entfernt. Bereits Kindergärten sollte man als Bildungseinrichtungen anerkennen, plädierte er zudem für Gemeinschaftsschulen. Die Kinder werden viel zu früh getrennt, so Gregor Gysi, der die 16 unterschiedlichen Schulsysteme in Deutschland scharf verurteilte. Wir brauchen ein abgestimmtes Top-Bildungssystem, forderte er unter dem Beifall der etwa 200 Gäste.
Dass der Kapitalismus auch etwas kann, ließ der Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag auch nicht unerwähnt. Es gebe ein effektives Industrie und Dienstleistungsangebot, zudem haben Wissenschaft und Kultur einen hohen Stellenwert. Was der Kapitalismus nicht könne, sei Kriege zu verhindern, weil dabei zu viel verdient wird. Auch gebe es keine ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Er verstehe nicht, warum auf dieser Welt 18 Mio. Menschen jährlich an Hunger sterben.
Von vielen erwartet natürlich seine Meinung zur Krim: Die Annektierung der Krim sei ein „Bruch des Völkerrechts“. Doch sei Büchse der Pandora bereits vor 15 Jahren im Kosovo aufgemacht worden. Das sei falsch gewesen, weil ein Bruch des Völkerrechts so zum Gewohnheitsrecht werden könne. Wenn ein Staat gegen einen Teil der Bevölkerung Gewalt anwendet, dann müsse dieser Teil zwar das Recht haben, das Land zu verlassen, „aber nicht mit Territorium – mit Territorium nur unter Zustimmung seines Landes. Die territoriale Integrität sei damit aufgehoben worden. Er hätte zudem von der Bundesregierung erwartet, die ukrainische Minderheitsregierung mit fünf Faschisten der Svoboda-Partei nicht anzuerkennen. Russland zu strafen, hält der Linke-Politiker dagegen für falsch: Sanktionen sind keine Politik. Gysi hält es für ein Versäumnis, dass mit Ende des Warschauer Vertrages nicht auch die NATO aufgelöst wurde. Was Putin der seine Politik der Stärke beweisen will – mache, sei falsch, aber NATO und EU haben eine Mitschuld. Was nun dringend gebraucht würde, sei Demokratie.
Nur einer stahl dem Redner an diesem Abend beinahe die Show: Kantor Ralf Stiller improvisierte auf dem Klavier über dem Ton D wie Deutschland oder eben wie DDR; ermunterte das Publikum den Ton M zu summen, F zu fauchen oder den schwierigen Ton S anzustimmen. Auch seine Nachtgedanken, Frühlings-Improvisationen mit Vogelgezwitscher oder das Paradies gaben dem Abend einen ganz besonderen Klang.

Antje-Gesine Marsch @24.03.2014

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