Greiz-Besuch von Bodo Ramelow: Gesprächskultur blieb auf der StreckeBodo Ramelow (r.) antwortet auf die teils emotional vorgetragenen Beiträge.

Auf Einladung von Harald Seidel kam Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zur Veranstaltung „Prominente im Gespräch“ nach Greiz

GREIZ. Während im Weißen Saal des Unteren Schlosses zahlreiche Gäste die Ankunft des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) erwarteten, hatte die sogenannte Volksbewegung Thügida vor der Alten Wache Stellung bezogen. Eine Stunde lang wetterte man gegen die Rot-Rot-Grüne Landesregierung im allgemeinen und das Demokratieverständnis in der Stadt Greiz im besonderen. Zwar als „Satire“ deklariert – die Protagonisten hatten sich als Muslime verkleidet – verbreiteten sie entsprechende Stimmung gegen die Flüchlingspolitik in Deutschland.

Bodo Ramelow indes nahm den Hintereingang und wurde von Harald Seidel bereits zum dritten Mal als Gast der Projektreihe „Prominente im Gespräch“ herzlich begrüßt. Präsenz zeigte auch die Finanzministerin des Freistaates und Stellvertretende Ministerpräsidentin, Heike Taubert (SPD) sowie die 2. Beigeordnete der Greizer Landrätin, Ines Wartenberg (SPD).

Im Impulsreferat bezeugte Thüringens Ministerpräsident der „mutigen DDR-Bevölkerung“ seine Hochachtung, die vor achtundzwanzig Jahren mit Kerzen und Friedensgebeten in den Kirchen die politische Wende einläutete. Respekt zollte er den Staatsorganen, die sich „selbst entwaffneten“.
Ein Dank sprach Ramelow denen aus, die begannen, „ein neues Kapitel in der deutschen Geschichte in Gang zu setzen“ – die „eigentlichen Helden der Wende“.
Doch gebe es auch „Ausgemusterte“, denn es sei nicht alles „nur schwarz oder weiß“.

Thüringens Regierungsschef sprach „ein paar Gedanken“ aus und lud die Gäste ein, „einfach mal über einiges nachzudenken“.
Beispielsweise über die „Gemeindeschwester Agnes“ als Pflegebeauftragte in einem Landambulatorium.
„Was wäre das für eine Bereicherung als verbindungsschaffendes Element?

Oder „Bildung als Schlüsselelement“. Das „Wissen im Kopf“ sei das Höchste, mit dem man in Thüringen wuchern könne: „Ein Reichtum, der uns unschlagbar macht.“ Bereits als Kleinkind müsse man beginnen, „das Lernen zu lernen“. Keine Bildungsreform „von oben“, sondern gemeinsames Lernen bis zur Klasse 8, Bildungsangebote bereits im Kindergarten und die Kleinen „neugierig auf die Welt“ zu machen, sei das Wichtigste.

Nach der Ent-Industrialisierung Anfang der 90er Jahre habe man einen „ganzen Sprung nach vorn gemacht“. Thüringer Produkte – etwa die schwarze Lederausstattung des Papst-Papa-Mobils, die in Gera gefertigt wird oder die Hammerköpfe für Steinway-Flügel aus Meuselwitz – zeugen von hoher Qualität und Innovation. Die größte und eigentliche industrielle Entwicklung habe in den letzten Jahren hier im Osten stattgefunden.
Obwohl die derzeitige Arbeitslosenquote in Thüringen bei 5,6 Prozent relativ niedrig sei, gelte es vor allem, diejenigen mitzunehmen, die „keine Struktur mehr haben“. Kein Mensch sei nutzlos; man müsse nur „Wege aufzeigen“. Vor allem, den derzeit 22.000 Langzeitarbeitslosen in Thüringen.

Man werbe „weiter für Zuwanderung nach Thüringen“. Diskutieren müsse man auch die Themen „bedingungsloses Grundeinkommen und moderne Bürgerversicherung“. Ein Gutverdiener müsse einfach mehr zahlen als ein Armer – entsprechend eines Verses aus dem Galaterbrief in der Bibel: „Einer trage des anderen Last“.

„Wir werden uns als Regierung vor keiner Verantwortung drücken“, versprach Bodo Ramelow. Denn „Gerechtigkeit und Solidarität werden an der Börse nicht gehandelt.“

Mit viel Applaus wurde die leidenschaftliche Ansprache Ramelows bedacht.

In der sich anschließenden Fragerunde blieb allerdings die Gesprächskultur auf der Strecke. Ein beherzter Zwischenruf von Roland Meyer, der in Vertretung des Museumsleiters das Hausrecht wahrnahm, mahnte an: „Bei allem Respekt, auch ich bin kein Verfechter der Rot-Rot-Grünen Politik in Erfurt, aber hier sitzt der Ministerpräsident des Freistaates Thüringen vor Ihnen. Es gebietet einfach der Anstand und der Respekt, ihn ausreden zu lassen und nicht permanent ins Wort zu fallen.“

Verbale Anschuldigungen, aus dem Zusammenhang gerissene Fakten und lautstarke Unterstellungen bestimmten die Diskussion, die zunächst sachlich mit der Frage „Wahlalter 16 Jahre“ oder dem „Vermissen der Jugend“ zur Veranstaltung begann.
Besonders die Themen „Windkraft“, respektive „Windkraft in Wäldern“ und Pumpspeicherwerke brachten dann die Gemüter in Wallung. Als aus dem Publikum die Begriffe „Fachkräfte“ und „Öko-Imperialismus“ fielen, verlor auch Bodo Ramelow fast die Beherrschung. Ausreden lassen wurde nun auf beiden Seiten zur Farce.

Fragende Blicke, Kopfschütteln bis zur Empörung der Gäste bestimmten die letzten Minuten des Abends. Sicher auch der Grund, weshalb die Veranstaltung ziemlich abrupt beendet wurde.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Gesprächskultur keine Einbahnstraße ist.

Musikalische Glanzpunkte setzten an diesem Abend Sarah (Klavier) und Artashes (Violine) Stamboltsyan, die unter anderm ein Phantasiestück in A-Dur von Robert Schumann und einen rumänischen Volkstanz von Bela Bartok zu Gehör brachten.

Wann Thüringens Ministerpräsident die Schloss-und Residenzstadt wieder besucht, bleibt bislang offen Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2014 habe er weder von der Greizer Landrätin noch vom Bürgermeister je die Bitte erhalten, den Landkreis oder die Stadt Greiz zu besuchen.
„Eine Einladung für eine Kreis-Bereisung würde ich schon annehmen“, so Ramelow.

Antje-Gesine Marsch @11.04.2018