Greiz im Wirrwarr der WendejahreDer Gommlaer Ehrenfried Schobert bringt sein viertes Buch aus der Reihe "Erinnerungen" heraus.

Gommlaer Ehrenfried Schobert bringt sein viertes Buch aus der Reihe „Erinnerungen“ heraus
GREIZ/GOMMLA. Ehrenfried Schobert, Jahrgang 1926, hat in diesem Jahr sein viertes Buch aus der Reihe „Erinnerungen“ herausgebracht. Diesmal handelt es sich nicht nur um private Erinnerungen. Das aktuelle Buch befasst sich mit seiner Zeit als Greizer Stadtverordneter von 1989 – 1994. Und es enthält so manches Detail, was heute die eine oder andere politische Gruppierung nicht mehr wahrhaben will. Grund genug, sich mit dem Gommlaer Urgestein über seine Buchserie zu unterhalten. Im schmucken Eigenheim, gelegen hinter seiner ehemaligen Möbeltischlerei, werde ich am Vorabend des 1. Mai in Greiz-Gommla zum Hintergrundgespräch für diese kleine Reportage empfangen.

2009 mit dem Schreiben begonnen – das erste Buch behandelt seine Jugendzeit
Langsam und mit Gehhilfe kommt Ehrenfried Schobert auf mich zu: „Herzlich willkommen“ sagt er und bittet mich in sein Wohnzimmer. Gleich neben der Ledersitzgruppe findet sich sein Arbeitsplatz: Ein bernsteinfarbener kleiner Schreibtisch, garantiert nicht von IKEA, sondern erkennbar ein handwerkliches Meisterstück. Darauf zu meiner Überraschung ein Flachbildschirm und eine Tastatur. Der 87-jährige Ehrenfried Schobert bemerkt meinen fragenden Blick und lacht: „Das erste Buch habe ich damals noch auf Schreibmaschine begonnen. Dann hat mir mein Sohn aber den Computer hingestellt und ich musste mich da reinfummeln“. Heute möchte er den PC nicht mehr missen, über 500 Fotos sind dort archiviert. Damals, das war Anfang 2009. Die Idee zum Buch stammt aber nicht aus dem Jahr, sondern eigentlich aus dem Jahr 1942. In der Bodenkammer des Hauses der Großeltern philosophierte der damals 16-jährige Ehrenfried gemeinsam mit seinem Cousin Friedwald mitten im 2. Weltkrieg, was noch auf sie zukommen würde; wie ihre Zukunft wohl aussehen würde. „Es gab genügend Gründe, über die Zukunft zu reden und letztlich auch zu streiten…“ schreibt Ehrenfried Schobert im Vorwort seines ersten Buches.

Schon im Vorwort Analysen, die man endlich aus der „großen Politik“ erwarten würde
Kritisch setzt er sich schon in diesem ersten Teil mit seiner Umwelt auseinander. „In der nun schon 65 Jahre anhaltenden Periode des Friedens ist vielen Menschen offensichtlich das Wertebewusstsein abhanden gekommen“, beschreibt Schobert völlig korrekt einen Makel unserer schnelllebigen Zeit.
Und lange vor Bankenkrise und Euro-Rettungsschirm gibt der gestandene Handwerksmeister uns jüngeren ein paar Weisheiten mit auf den Weg, die bisher – speziell in der Politik, aber auch bei uns selbst – leider kaum gehört und noch weniger beachtet werden: „Es ist genügend da auf dieser Erde, wenn aber die Verteilung sich weiter so entwickelt wie in den letzten Jahren, dann werden die immer mehr werdenden „Habenichtse“ die immer reicher werdenden „Raffgierigen“ von ihren goldenen Sockeln stoßen“. Beim Lesen dieser Zeilen liegt einem der Ruf auf der Zunge: „Ehrenfried Schobert for president!“. Das ist ganz ernst gemeint. Schobert beschreibt im Gespräch und im Buch, dass ihn das Interesse am Beruf- oft bis in die Nacht hinein „basteln, werkeln und tüfteln“ ließ. Vielleicht wäre es tatsächlich an der Zeit, statt Steinewerfer zu Außen- und falsche Doktoren zu Verteidigungs- oder Bildungsministern zu machen, einfach mal einen bodenständigen Handwerksmeister vorn dran zu setzen? Vorn wäre in dem Fall ämter wie Bürgermeister, Ministerpräsident, Bundeskanzler oder Bundespräsident. Denn statt kreativen Tüftlern werden wir stattdessen zunehmend von Juristen, Lehrern und Pfarrern „verwaltet“. Nichts gegen diese Berufsgruppen als solches. Wenn sie in ihren Berufen bleiben. Aber deren Dominanz in der Politik wird inzwischen von vielen Menschen kritisch gesehen. Insofern wären Handwerker oder Menschen aus der freien Wirtschaft durchaus mal etwas neues, frisches. Schließlich sagt der Volksmund nicht umsonst „Handwerk hat goldenen Boden“. Ob das wohl daran liegt, dass mittelständische Handwerksbetriebe in der Regel langfristig denken und nicht von kurzfristigen Quartalszahlen getrieben werden?
Die Lebenserfahrung von Ehrenfried Schobert lässt ihn schon im Vorwort ein an sich simples, aber derzeit in der großen Politik leider nicht umgesetztes Resümee ziehen: „Ich vertrete die Ansicht, und mein Lebenslauf hat mich darin bestärkt, dass die Menschheit in Wissenschaft und Technik so weit vorangekommen ist, dass jeder auch bei stark eingeschränkter Arbeitszeit, in guten Verhältnissen leben könnte. Hoffentlich siegt bei der Menschheit die Vernunft und nicht die Gier nach immer mehr“. Nanu, Sie schauen bei diesem Zitat so betroffen auf den Bildschirm? Erstaunlich, wie recht ein 87-jähriger Mann aus einer thüringischen Kleinstadt hat, oder? Allein deshalb sollte das erste Buch weit über 600 Mal gedruckt werden. Damit es an jeden Bundestagsabgeordneten und jedes Regierungsmitglied verteilt werden kann. „Simply the best“ sang schon Tina Turner und hat damit ebenso Recht wie Ehrenfried Schobert. Nämlich, dass wir mit unseren natürlichen und
menschlichen Ressourcen sorgfältig umgehen müssen. Unsere Generation kann nach wie vor von der Generation lernen, die eine der schlimmsten Phasen der Neuzeit aushalten musste: den 2. Weltkrieg. Von der Not und den Entbehrungen dieser Zeit wurde diese Generation geprägt, wie Ehrenfried Schobert im ersten Buch eindrucksvoll beschreibt. Und trotz „Wirtschaftswunder“ im goldenen Westen war diese Kriegs- und Nachkriegsgeneration nie so gierig, nie so maßlos wie unsere Generation, die mit ihrer „Geiz ist geil“-Mentalität offenbar auf die Verschwendung unserer natürlichen Ressourcen pfeift. Allein schon aus diesem Grund ist dieser erste Teil der Lebenserinnerung auch an Schulen zur Lektüre ausdrücklich zu empfehlen.

Das zweite Buch: Erinnerungen an den „real existierenden Sozialismus“
Mit wachen Augen sitzt mir Ehrenfried Schobert an seinem Schreibtisch gegenüber. „Von was handelt der 2. Teil?“ frage ich ihn, während ich in der Ausgabe blättere, die von sozialistischen Kampfparolen eingefasst wird. „Vom real existierenden Sozialismus und seinen Schwierigkeiten. Und von der Flucht meiner Frau“ antwortet Schobert schmunzelnd. Tatsächlich beinhaltet diese Ausgabe am Anfang Geschichten aus seinem geliebten Ortsteil Gommla und auch das „Dreimädelhaus“ (Wacholderschenke) kommen vor. Die Nachkriegszeit ist vielen aus dem Geschichtsunterricht als „Zeit des kalten Krieges“ bekannt. Ehrenfried Schobert beschreibt diese Zeit aus eigenem Erleben- die Zeit des Mauerbaus, die Beschränkung durch (oder sollte man besser schreiben: die Beschränktheit von) DDR-Staatsorgane bei „Westbesuchen“, aber auch die spannende Zeit des Eigenheimbaus. „Was ist am Bau eines Eigenheimes spannend?“ wird sich jetzt der jüngere Leser fragen. Für den völlig selbstverständlich ist, dass ein Eigenheim auf der grünen Wiese rohbaufertig binnen weniger Tage errichtet ist. Ehrenfried Schobert beweist Wortwitz für diesen Lebensabschnitt, in dem er das Kapitel überschreibt mit dem geflügelten Spruch: „In Ulbrichts Ländle Häusle baue, hieß, da musste selbst nach allem schaue“. Nur die Generation vor 1989 kennt noch Begriffe wie „Bückdichware“. Es ging aber noch schwerer. Wer in der DDR bauen wollte, wusste sehr schnell, warum es im Volksmund hieß: „Beziehungen schaden nur dem, der keine hat.Schobert gesteht im 2. Teil freimütig, dass ihm seine Bekanntheit so manches Mal geholfen Auf meine Nachfrage stellt Ehrenfried Schobert das Thema „Flucht“ in den richtigen Zusammenhang: „Es geht um die kriegsbedingte Flucht meiner Frau aus Ostpreußen“. Erst 1993 sah Eva Schobert ihre alte Heimat Insterburg wieder, von dieser Reise wird berichtet. Und der Morgen nach der Ankunft in der alten Heimat brachte für die Schobert ´s einige Aha-Erlebnisse in Bezug auf Reparations- und Handelsleistungen zwischen der Sowjetunion und der DDR.
Bei den Gastgebern fand man furnierte Möbel aus dem Möbelkombinat Zeutrie (Zeulenroda-Triebes) ebenso vor wie Halbmond-Teppiche aus dem vogtländischen Oelsnitz oder GREIKA-Stoffe aus Greiz. In Insterburg hatten also DDR-Produkte die „Wende“ überlebt. Auf dieses Kapitel im Buch ist Ehrenfried Schobert besonders stolz. „Diese Beschreibung unserer Reise in die Heimatstadt meiner Frau wurde auch im ´Insterburger Brief ´ abgedruckt, einer kleinen Zeitung, die von ehemaligen ostpreußischen Vertriebenen herausgegeben wurde“, sagt er im Gespräch. Heimat ist also doch kein leerer oder gar von Rechten missbrauchter Begriff, sondern weckte schon immer Emotionen. Schließlich verbinden auch heute viele Ex-Greizer mit dem Begriff „Heimat“ das Aufwachsen in ihrer Geburtsstadt Greiz. Nicht umsonst gab es bis 1992 den Verein Heimattreuer Greizer (Sitz: Mainz), der sich bis 1989 regelmäßig in Coburg traf. Und auch die beliebten „Greizer Treffen“ in den 1990-er Jahren zeigten, dass sich ehemalige Greizer noch heute mit ihrer alten Heimat identifizieren. Dieser Teil des Buches beschreibt anschaulich, dass „Vertriebene“ speziell aus Ostpreußen noch lange keine „Revanchisten“ sind, wie sie in der DDR-Propaganda tituliert wurden. Sondern nur Menschen, die im hohen Alter die Stätten ihrer Kindheit und Jugend nochmals wiedersehen wollen.

Ein Leben im Ehrenamt – ein Handwerksmeister mit Leib und Seele
Das dritte Buch zeigt im Einband verschiedene Holzarten und damit einen der wichtigsten Lebensinhalte von Ehrenfried Schobert: seinen Beruf. In diesem Band wird eindrucksvoll beschrieben, dass dies für Schobert nicht nur Beruf, sondern Berufung war. „Ich wollte auf meine Zeit in der Handwerkskammer und den zahlreichen Ehrenämtern zurückblicken“ erzählt Ehrenfried Schobert im Gespräch. Stolz zeigt er auf die Urkunde im Wohnzimmer, die ihn als Träger der „Ehrennadel der Handwerkskammer für Thüringen in Gold“ ausweist. Nicht viele können eine solche Auszeichnung vorweisen, ist sie doch eine ausdrückliche Würdigung seiner über lange Jahre zahlreichen Ehrenämter, speziell auch in der Berufs- und Meisterausbildung. Besonders stolz ist Ehrenfried Schobert auch heute noch auf seine „Tätigkeit im Gewerberat- auf Lebenszeit“, wie er unter Verweis auf das entsprechende Kapitel in diesem Buch aufzeigt. 1999 wurde er mit weiteren 11 Handwerksmeistern in dieses Gremium berufen, dass der Pflege handwerklicher Traditionen, der Förderung des Ostthüringer Handwerks und zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in Ostthüringen dient. Mit diesem Buch sollte eigentlich eine Trilogie abgeschlossen werden, es sollte das letzte Buch sein. Doch es kam – wie so oft im Leben – anders.

Kommunalpolitiker in einer spannenden Zeit- Stadtrat von 1989- 1994
Ursache und Auslöser dieses vierten Bandes (der sich eher mit den gesellschaftspolitischen Umbrüchen und Entscheidungen der Jahre 1989 1994 befasst) war der OTZ-Leserbrief vom 7.4.2012 eines Greizers im Vorfeld der Bürgermeisterwahl. Ehrenfried Schobert kann sich darüber noch heute echauffieren: „Ich habe nichts gegen harten Wahlkampf. Aber eine Verdrehung von Tatsachen oder die Verunglimpfung von Menschen liegt außerhalb jedes fairen Wahlkampfes“. Schobert erläutert im Gespräch, dass in diesem Leserbrief so getan wurde, als wäre in der Zeit von 1989- 1994 in Greiz nichts passiert sei, sondern dies erst mit der Stadtratsmehrheit der SPD erfolgte. „Nach der Wende gab es nichts außer täglich neuer Herausforderungen. Und die mussten die Bürgermeister der ersten Stunde, das neue Stadtparlament und die Mitarbeiter einer neu strukturierten Stadtverwaltung bewältigen. Der 1994 nachfolgende Bürgermeister fand funktionierende Strukturen vor, die seine Vorgänger erst geschaffen haben. Und dass sich nichts getan hat- nun ja, das erste und einzige Gewerbegebiet entstand vor 1994 hier in Gommla“ verteidigt Ehrenfried Schobert die Arbeit der damaligen Administration. Im Buch nimmt Schobert den Leserbriefschreiber wiederholt auf ´s Korn, in dem er kritisch nach den Erfolgen der nachfolgenden Legislaturen fragt. Auch hier hat der 87-jährige am Schluss des Buches den Finger tief in der Wunde: „Das Greizer Karussell dreht sich schon lange in die falsche Richtung: Keine steigende Industrie- und Gewerbeansiedlung, verminderte Anzahl von Arbeitsplätzen und Verdienstmöglichkeiten, zunehmende Abwanderung, steigende Wohnungsleerstände, fallende Mietpreise und dadurch sinkende Investitionen der Hausbesitzer, zurückgehende Handelsumsätze, kränkelnder Einzelhandel, sinkende Steuereinnahmen. Alles in allem eine Stadt, deren Stadtväter sich ausrechnen können, zu welcher Zeit der Stadtbonus verloren gehen wird“. Angesichts der aktuell bestehenden Haushaltsdefizite, der Erhöhung von Gewerbe- und Grundsteuern entsteht ein Aha-Effekt, wenn man auf Seite 97 nachlesen kann, dass der ab 1994 neu amtierenden SPD-Administration ein mit über 20 Millionen DM prall gefülltes Stadtsäckel übergeben werden konnte!. Von nachhaltiger Wirtschaft kann man in Greiz bei einem solchen „Absturz“ also definitiv nicht sprechen.
Ehrenfried Schobert ist auch dieses vierte Buch wichtig, auch wenn es so manchem nicht in sein politisches Weltbild passen wird. „Das Buch behandelt die Nachwendezeit weniger aus persönlicher, sondern eher aus gesellschaftspolitischer Sicht. Der Inhalt stützt sich auf belegbare Tatsachen und Fakten und befasst sich mit der Entwicklung unserer Stadt Greiz- sowohl generell als auch kommunalpolitisch und insbesondere unter Betrachtung der Gewerbeentwicklung“ beschreibt Handwerksmeister Ehrenfried Schobert den Inhalt dieses -vorläufig – letzten Teiles seiner Erinnerungen.
„Eines ist mir ganz besonders wichtig, bitte schreiben Sie das“ gibt mir Schobert mit auf den Weg: „Aus eigener Kraft wäre vieles in meinem Leben nicht erreicht worden, wenn mir meine Ehefrau Eva nicht immer den Rücken frei gehalten und meine Familie mich nicht unterstützt hätte“ zieht er den Hut vor der Lebensleistung seiner Frau. Kein Wunder: Mitte Mai 2013 feiern Eva und Ehrenfried Schobert bei hoffentlich guter Gesundheit das sehr seltene Fest der Eisernen Hochzeit.

BSG/tr @30.04.2013

Kommentare sind geschlossen.