Thüringens Sozialministerin Heike Taubert beim Pressefrühstück in Greiz Harald Seidel

„Den Menschen auch Mut und Hoffnung geben“

GREIZ. Die Greizer Vortrags- und Diskussionsreihe „Prominente im Gespräch“ gilt seit Jahren im thüringischen und sächsischen Vogtland als Publikumsmagnet. Nicht zuletzt wegen der großen Namen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, die mit ihr verbunden sind. Zu Gast waren unter anderem Bundespräsident Johannes Rau, Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker, Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker, der sächsische Ministerpräsident Professor Dr. Kurt Biedenkopf, Egon Bahr, Friedrich Schorlemmer oder der Träger des alternativen Nobelpreises, Dr. Hermann Scheer.
Initiator und Gastgeber der Podien ist der Greizer SPD- Kreischef Harald Seidel. Der Vogtland-Anzeiger sprach mit ihm über die Veranstaltungsreihe, ihr Anliegen und die Prominenten, die kamen und kommen werden.

Herr Seidel, wie kompliziert ist es, die Prominenz in die Provinz zu locken?
Seidel: Zunächst einmal: Provinz heißt, „hier ist der Hund begraben“. Verzeihen Sie, aber mir geht Ihr Begriff „Provinz“ in diesem Zusammenhang gegen den Strich. Kultur — und um eine kulturelle Veranstaltungsreihe handelt es sich bei der Reihe „Prominente im Gespräch“ — ist kein Großstadtphänomen. Ich denke zum Beispiel an die sehr bekannten Stelzenfestspiele bei Reuth, das Tanz- und Folkfestival in Rudolstadt oder den Greizer Theaterherbst, das sind regionale kulturelle Höhepunkte, die mit jeder großen Metropole konkurrieren können.
Nun zur Frage: Nach dem Besuch des Friedensforschers, Philosophen und Physikers, Carl Friedrich von Weizsäcker, am 1. Mai 1993 spürte ich sozusagen einen Urknalleffekt. Ich wollte auch dessen Bruder, Richard von Weizsäcker, und Sohn, Ernst Ulrich von Weizsäcker, nach Greiz holen. Nun ja, und mit Hilfe des Schneeballprinzips sowie mit Beharrlichkeit ist es gelungen, nach und nach einige bekannte Persönlichkeiten in Greiz begrüßen zu können.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Gäste der Diskussionsreihe aus?
Seidel: Anliegen der Reihe ist es, mit Buchlesungen, Vorträgen und Gesprächen Themen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur für ein allgemein interessiertes Publikum zur Sprache zu bringen. Daneben gehören zum Auswahlprinzip fachliche Aussagekraft und Bekanntheitsgrad des jeweiligen Referenten. Und ich gestehe, natürlich auch dessen „Leuchtkraft“.

Welche Absicht verfolgen Sie mit den Gesprächsabenden?
Seidel: In einer Region, die von der Abwanderung der Jugend, industriellem Niedergang und erschreckend hoher Arbeitslosigkeit bestimmt ist, hat jedes Gegensteuern Gewicht. Wirtschaftliche wie geistig-kulturelle Potentiale haben dabei eine stabilisierende Wirkung. Sei es einerseits das Engagement von Mittelstand, Handwerk und Gewerbe, sei es andererseits die Arbeit eines Textilforschungsinstituts, eines Theaterherbstes oder einer Vogtland Philharmonie. Auch die Gesprächsabende wollen in diesem Sinne wirken. Freilich, die Veranstaltungsreihe kann keine fehlende Wirtschaft oder eine wünschenswerte Fachhochschule in Greiz ersetzen. Aber ich hoffe, sie trägt in bescheidener Weise dazu bei, den Menschen ein wenig Mut und Hoffnung für die Zukunft zu vermitteln. Vielleicht hilft sie zudem etwas mit, Greiz bundesweit ein bisschen bekannter zu machen. Und ehrlich gesagt, die Organisation der Reihe bereitet mir außerdem einfach sehr viel Freude.

Was überrascht Sie im Umgang mit den Prominenten?
Seidel: Der einfache, ungezwungene Umgang mit ihnen. Neben fachlicher Kompetenz scheinen menschliche Wärme und Herzlichkeit Grundvoraussetzung für wahre Größe zu sein. Wie wohltuend und einfach waren doch die Begegnungen mit Richard von Weizsäcker, Ulf Merbold, Hans Koschnick, Egon Bahr, Kurt Biedenkopf, Heide Simonis oder den Brüdern Hans-Jochen Vogel und Bernhard Vogel. Ein Umgang, der im Gegensatz zu der leider häufig anzutreffenden Arroganz und Überheblichkeit schlaumeiernden Mittelmaßes auf allen Ebenen vor Ort steht.

Welche Folge ihrer Reihe hat Sie am meisten beeindruckt?
Seidel: Schwer zu sagen. Das ist so, als würden sie mich fragen, welches Buch, welcher Film oder welches Musikstück mir am besten gefällt. Vielleicht sollte ich den Abend mit Carl Friedrich von Weizsäcker nennen, dessen Lebenswerk, Philosophie und Ethik mich tief berührte. Letztlich wurde sein Vortrag „Ebenen und Krisen in der Natur, Kultur und Gesellschaft“ zum Leitmotiv für die Veranstaltungsreihe.

Wen erwarten Sie im kommenden Jahr als Gast in Greiz?
Seidel: Erster Gast im kommenden Jahr ist der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemier von Bündnis 90/Die Grünen. Der Sohn türkischer Gastarbeiter wird am 19. Januar zum Thema „Kulturelle Vielfalt oder Abgrenzung. Die Zukunft des Zusammenlebens in Deutschland“ sprechen. Am 28. März erwarte ich die Bundesgeschäftsführerin von Greenpeace, Brigitte Behrens, und im Mai den Lyriker Günter Kunert. Natürlich gibt es darüber hinaus eine Reihe noch nicht terminierter Zusagen, so unter anderem von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), dem Schauspieler Rolf Hoppe, dem Journalisten Klaus Bednarz, Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), der Schauspielerin Iris Berben, dem Bundespräsidenten a.D. Roman Herzog (CDU), der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, dem künftigen BDI-Präsidenten Dr. Michael Rogowski, dem Journalisten Gerd Ruge sowie einem Vertreter von „amnesty international“.

Karsten Schaarschmidt

Von Leserpost