Postkarten/Fotos/Dokumente – Greiz 20.JahrhundertVon 1930 bis 1957 befand sich die Greizer Bibliothek im Unteren Schloss.

Dietrich Langheinrich erinnert sich an die Zeit, als er im Unteren Schloss selbst eifriger Leser war

Sehr geehrte Frau Marsch,
in Ihrem Artikel „Seit 85 Jahren gibt es in Greiz eine Bibliothek“ schreiben Sie: „1943 wurde das „Lesezimmer“ aufgegeben und nach dem Einbau einer Verbindungstreppe zu den darüber liegenden Ausleihräumen in ein Büchermagazin umgewandelt.“
Es trifft zu, dass die bis dahin genutzten Räume für ein Lesezimmer für den geschilderten Zweck umgewidmet wurden. Das Lesezimmer wurde aber nicht aufgegeben. Es wurde vielmehr in dem großen Raum links vom Treppenhaus (Fenster zur Alten Wache) eingerichtet. Dort existierte es nach meiner Erinnerung auch noch lange Zeit nach der Wiedereröffnung der Bibliothek im 2.Halbjahr 1945. Ich erinnere mich daran, denn ich
habe bis 1951 ständig im Schloss in den Räumen über der Bibliothek gelebt, eifriger Leser der Bibliothek war und außerdem während meiner Schulzeit sehr oft den Lesesaal besucht habe. Mit den damaligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hatte ich recht guten Kontakt.
Eine Erinnerung an die räumlichen Gegebenheiten ist mir noch sehr präsent: beim Einmarsch der amerikanischen Truppen (1945, ich war damals 14 Jahre alt) hatten Angehörige der flüchtenden deutschen Armee in dem kurzen Flurstück vor dem „alten“ Lesesaal größere Mengen Waffen entsorgt. Da wir uns während dieser Zeit im Luftschutzkeller aufhielten, bemerkten wir diesen Umstand nicht. Erst als die ersten
Amerikaner bei Gärtnerei Giesler um die Ecke bogen (wir hielten uns am unteren Ausgang des Luftschutzkellers auf), diese sehr freundlich auf uns zukamen und auch nach einem gewissen Zeitraum keine „Kriegsgeräusche“ zu hören waren, haben wir den Luftschutzkeller verlassen. Dabei entdeckten wir mit Entsetzen dieses Waffenlager, denn es hätte ja als Widerstandsnest gelten können. Recht schnell erfuhren wir, dass die
Amerikaner viele Häuser systematisch durchsuchten. Wir hatten aber keine Ahnung, wie wir uns problemlos dieser Waffen hätten entledigen können. Glücklicherweise wurde das Untere Schloss überhaupt nicht durchsucht. Möglicherweise hatte es einen besonderen Status durch die Wohnräume von Hermine, der Ehefrau des letzten deutsche Kaisers, die ja eine Reußin war. Möglicherweise war aber auch ein Grund die besonders
eindrucksvolle Art der Kapitulation: Durch die Sprengung der Brücke wurde die großen Fenster auf der Elsterseite zerstört. Der Explosion folgte eine Implosion, durch die die riesigen Stores von Hermines Zimmerflucht nach außen gezogen wurden und dort als riesige weiße Fahnen eine Kapitulation signalisierten. Durch Andeutungen von Erwachsenen habe ich später erfahren, dass die Waffen dann in einer Nacht und Nebel-
Aktion vorbei an Hermines Küche über die damals existierende Rampe zu Gieslers Gärtnerei irgendwo in diesem Gelände „entsorgt“ wurden.
Ich hoffe, dass ich Sie mit dieser Schilderung nicht ein für Sie inzwischen uninteressant gewordenes Thema aufgreife.

Mit freundlichen Grüßen
Dietrich Langheinrich

Zur Vita:
Dietrich Langheinrich wurde 1930 geboren und wohnte im Greizer Unteren Schloss. Nach dem Abitur an der Erweiterten Oberschule „Dr. Theodor Neubauer“ musste er sich in der Produktion „bewähren“, um den „Kontakt zur Arbeiterklasse“ zu erlangen. Vom Chemiewerk aus bewarb sich Dieter Langheinrich um einen Studienplatz für Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. Zu seiner Überraschung erhielt er den Platz
und wählte als Hauptfach Psychologie, da damals Theaterwissenschaft nur ein Nebenfach war. Aufgrund einer Denunzierung wurde er am 1. Weihnachtsfeiertag 1953 von der Staatssicherheit im Unteren Schloss wegen einer „Auskunft“ abgeholt, aber erst nach einer dreijährigen Zuchthausstrafe wieder entlassen. Nach einem Aufenthalt im Haftkrankenhaus wählte er den Wohnort seiner Verlobten (Berlin), um mit ihr wenig später dem real existierenden Sozialismus den Rücken zu kehren.
Sein Studium setzte er in Münster fort, erhielt dort sehr interessante Arbeitsmöglichkeiten und zog erst nach der Pensionierung im Jahr 1995 nach Schleswig-Holstein in die Nähe zur Ostsee und dänischen Grenze um. Dort lebt er noch heute.

Lieber Herr Langheinrich, herzlichen Dank für Ihre äußerst interessanten Ausführungen. Sollte es Ihre Zeit erlauben, sind wir für noch mehr Ihrer wertvollen Erinnerungen sehr dankbar.
Beste Grüße aus der Schloss-und Residenzstadt Greiz

Antje-Gesine Marsch @22.01.2016

Von Leserpost