Michael Zölle liegt Reiselust im BlutEinige Fotos hat Michael Zölle zur Veranstaltung mitgebracht.

Neunte Auflage des „Greizer Geplauders“ fand im bequemen Reisebus statt
GREIZ. Dass die Mitglieder der Vereins „Weil wir Greiz lieben“ oft exponierte Orte für ihre Veranstaltungen wählen, ist hinlänglich bekannt. Ein Reisebus stand allerdings am Donnerstagabend erstmals auf der Lokalitätenliste der Veranstalter des „Greizer Geplauders“, zu dessen neunter Auflage der Greizer Reiseunternehmer Michael Zölle Rede und Antwort stand. Sicher von Tochter Nadja Zölle über die Bundesstraße bis nach Zeulenroda gelenkt, konnten die Gäste des voll besetzten Busses viel Interessantes zur 25-jährigen Firmengeschichte von Zölle-Reisen erfahren. Moderator Stefan Schmidt verstand es, mit geschickt gestellten Fragen immer wieder den roten Faden zu finden, wenn Michael Zölle in ein Vierteljahrhundert voller großer und kleiner Erlebnisse eintauchte. Viele Dinge belächelt man heute sicher, doch konnte man anhand der Schilderungen des Unternehmers noch einmal die spannende Zeit des Aufbruchs nach der politischen Wende nachvollziehen.

Wie Michael Zölle gestand, wurde er bereits als junger Mann – in Meiningen geboren – vom Reisevirus infiziert. Fremde Menschen und Kulturen kennenzulernen, sollte seinem Lebensziel entsprechen. Sein erstes “echtes” Reiseerlebnis konnte Michael Zölle im August 1968 verbuchen, als er sechzehnjährig in Richtung Tschechoslowakei aufbrach und von großem Glück sprechen konnte, einen Tag vor dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages wieder auf dem Heimweg gewesen zu sein. Erste Reisen mit Frau und Kind unternahm er Ende der 1970er Jahre mit seinem 311er Wartburg, wie er sich lächelnd erinnerte. Als die FDJ (Freie Deutsche Jugend) Reiseleiter suchte, absolvierte der junge Mann entsprechende Lehrgänge und organisierte erste Inlandreisen. Auslandsreisen nach Ungarn, Polen oder die Sowjetunion folgten. Etwas traurig zeigt er sich noch heute, dass ihm die vierzehntägige Reise nach Wladiwostok “durch die Lappen” ging. Er habe nicht über die entsprechenen “Beziehungen” verfügt, wie er augenzwinkernd gestand.

Mit der politischen Wende brach “ein neues Zeitalter” an, dass dem (inzwischen) Greizer völlig neue Perspektiven eröffnete. Mit einem gebraucht gekauften Acht-Sitzer-Bus unternahm er erste Tagesfahrten, die er sich “auf der Karte ausdachte” und vor allem das Klientel auf dem Zaschberg, früher einem privilegierten Viertel, ansprach. Die Gewerbegenehmigung hatte der umtriebige Neu-Greizer seit 1. März 1990 in der Tasche. Das Prinzip der “Haustürabholung” habe schon damals bestens funktioniert, so Michael Zölle, der innerhalb kürzester Zeit fünf Mal zur Zugspitze fuhr. “Die Leute wollten nach dem Westen; mit anderen Himmelsrichtungen hätte ich ihnen gar nicht kommen brauchen.” Noch gut im Gedächtnis waren Michael Zölle die Reisen nach Bayreuth, Hof oder ins Fichtelgebirge, die allesamt mit einem Einkauf bei ALDI endeten. Ein Dutzend “bayerische Aldis” habe er in dieser Zeit kennengelernt, resümierte der Reiseunternehmer lachend. Mit dem Kauf eines S 120 Setra-Busses machte sich Michael Zölle einen “Lebenstraum” wahr. Fortan traf man ihn in vielen Ländern Europas an – “Der kleine Greizer” war bekannt. Nach seiner “extremsten Fahrt” befragt, fiel Michael Zölle sofort Palermo ein. Die engsten Straßen waren – genau wie der Bus – zwei Meter breit. Mit eingeklappten Spiegeln und einem Millimeter Spielraum nach links und rechts passierte er die etwa 400 Meter lange Fahrstrecke.

In 25 Jahren erlebt man natürlich eine Menge Dinge. “Es gab in dieser Zeit keinen einzigen Unfall”, berichtete der Reiseunternehmer nicht ohne Stolz. Neben einigen wenigen Pannen war es vor allem die Suche nach verspäteten oder bereits gen Heimat abgereisten Fahrgästen, die die Nerven strapazierte – was aber allesamt glimpflich ausging. Mit besonderer Freude gab Michael Zölle die Anekdote zum besten, als er sich spontan dem Pulk der dänischen Königin Margarete II. anschloss und ihm und seinen Fahrgästen genau so viele Menschen begeistert zuwinkten wie den Blaublütern.

Wie im Fluge verging die zweistündige Fahrt, die eigentlich ihren Höhepunkt am Aussichtsturm “An der Kreuztanne” in Wittchendorf mit einem erhebenden Sonnenuntergang finden sollte. Schade, aber es regnete in Strömen, so dass zumindest dieses Highlight sprichwörtlich ins Wasser fiel. Ein besonderer Dank gilt neben den Veranstaltern der Bürgerinitiative “Weil wir Greiz lieben”, dem Gesprächsgast des Abends, Michael Zölle, seiner Tochter Nadja sowie Evelin Brückner, die mit freundlichen Worten Getränke und Fingerfood kredenzte.

Wie er sich die Stadt Greiz in zehn Jahren vorstelle, lautete die letzte Frage des Abends. Warum man die Lebensfreude und gute Stimmung, die man auf Reisen zelebriere, nicht auch zu Hause in Greiz ausleben könne, sei eine Frage, auf die er immer noch eine Antwort suche, gestand Michael Zölle. Ein “vernünftiges Hotel für 100 Leute” könne er sich zudem gut für die Zukunft vorstellen.
Den syrischen Flüchtlingen eine Chance zu geben, sie aufzunehmen, zu beherbergen, zu unterstützen und zu lehren sieht Michael Zölle als vordringliche Aufgabe an. “Alle Menschen sind gleich” lautet seine Lebensmaxime – gut denken kann er sich, das man vielleicht in zwanzig Jahren seinen Urlaub in Syrien verbringen kann. Aus den Fehlern der Ghettoisierung, die man in Westdeutschland mit den Gastarbeitern der 1960er Jahre machte, müsse man lernen.

Den lustigsten Spruch des Abends – aus Sicht der Fahrerin – brachte Nadja Zölle ein: “Wer fünf Minuten zu spät kommt, muss singen; wer zehn Minuten zu spät kommt, tanzen und wer fünfzehn Minuten zu spät kommt, kann singen und tanzen – an der Stelle, wo der Bus stand.”

Antje-Gesine Marsch @01.04.2016