Mit Gründung der SDP die Machtfrage gestelltZur Podiumsdiskussion sprachen: v.l. Harald Seidel, Marie-Theres Mayer, Joachim Kähler und Heike Taubert.

Podiumsdiskussion und Ausstellung zur Gründung der SDP in der DDR vor 25 Jahren
GREIZ. Die kleine märkische Gemeinde Schwante sollte im Herbst des Jahres 1989 Geschichte schreiben. Während in Berlin (Ost) systemgesteuert mit einer großen Militärparade der 40. Jahrestag der DDR zelebriert wurde, trafen sich in einem Pfarrhaus im Kreis Oranienburg konspirativ 43 Leute und gründeten die SDP, die Sozialdemokratische Partei der DDR.
Unter dem Thema „Wir haben die Machtfrage gestellt“ wurde am Donnerstagabend in einer Veranstaltung im Foyer der Vogtlandhalle Greiz dieses Ereignisses gedacht. Eingeladen hatte das Thüringer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung die Stellvertretende Landesvorsitzende der SPD, Heike Taubert, Pfarrer Joachim Kähler, den Greizer Harald Seidel und die Vorsitzende des Juso-Kreisverbandes Greiz, Marie-Theres Mayer. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion sehr souverän von der freien Journalistin Blanka Weber. Harald Seidel und Joachim Kähler als Protagonisten brachten in das Gespräch ihre Erinnerungen ein, die in die Zeit des „heißen Herbstes 1989“ zurückführten. Kähler hatte erst am 2. Oktober erfahren, dass die konspirative Gründung der SDP wenige Tage später in seinem Pfarrhaus stattfinden soll. „Ein aufregender Tag“, erinnert sich der Geistliche, der am frühen Morgen von einem „Mann mit wildem Bart“ heraus geklingelt wurde. „Schotte“, so der Spitzname Seidels, sei der erste gewesen, der mit „seinem Anhang“ in Schwante eintraf. Die Absicht, gerade am 7. Oktober die Parteigründung zu vollziehen, sei eine „doppelte Provokation“ gewesen, so Kähler. Doch wollte man so auch ein Zeichen setzen, aus der „Zwangsvereinigung des Jahres 1946“ auszubrechen. Wohl wissend, dass dieser Schritt ein gefährlicher war – wie ein Damoklesschwert hing die Überwachung durch die Staatssicherheit und die möglichen Repressalien über den aus der ganzen Republik angereisten Teilnehmern, von denen sich die wenigsten untereinander kannten. Doch selbst einer möglichen Auflösung der Versammlung hatte man vorgebeugt: „Bei einem Misserfolg wäre eine Parallelgründung vorbereitet gewesen“, wie Joachim Kähler weiß. Der Name eines Mannes, der an diesem 7. Oktober zum Geschäftsführer der SDP bestimmt wurde, kam natürlich auch ins Gespräch: Manfred Böhme, der sich nun Ibrahim nannte. Die Namensänderung und die Abschaltung seines Telefons am Vortag seien für Kähler bereits nach drei Tagen ein Indiz gewesen, dass er ein Spitzel war. Für Harald Seidel ist Manfred Böhme nach wie vor eine „zwielichtige Person“, wie er zu bedenken gibt. Einerseits ein Freund, hoch gebildet und hilfsbereit, andererseits ein Spion, der nicht zögerte, seine Freunde zu bespitzeln und ans Messer zu liefern. Für die 22-jährige Marie-Theres Mayer ist die DDR-Zeit wie „eine andere Welt“ und nur aus „Geschichtsbüchern und Erzählungen“ bekannt. Geschockt war die Juso-Chefin, als sie in Harald Seidels Stasi-Akte las, dass der Greizer „zum politisch günstigsten Zeitpunkt“ liquidiert werden sollte. Andererseits hörte sie von ihren Eltern oft, dass die Menschen untereinander sehr solidarisch waren. Dem widersprach Joachim Kähler vehement und bezeichnete das als „Selbstlüge“. Dass die Menschen Ende der 1980er Jahre den „Wunsch nach Veränderung“ – vor allem auch nach der „West-Mark“ und dem BRD – Wohlstand verspürten – betonte Heike Taubert. Sie habe damals „ein ganz bestimmtes Gefühl in der Luft und eine innere Unruhe“ vernommen. Für Harald Seidel wäre ein „dritter Weg“ akzeptabel gewesen; schließlich wusste man, wie „gnadenlos“ der Kapitalismus ist: „Wir fühlten uns als Ost-68er und träumten von einem besseren Staat.“ Der Schwenk in die Gegenwart bemühte natürlich die Rot-Rot-Grüne Koalition in Thüringen, mit der vor allem Joachim Kähler seine „Schwierigkeiten“ hat. „Wir werden die Linke beim Wort nehmen; gerade beim Thema Unrechtsstaat“, argumentierte Heike Taubert, die in der neuen Regierung als Finanzministerin fungiert. Dass man Menschen die Chance auf Veränderung einräumen müsse, unterstrich sie mit Nachdruck. Die „moralische Keule“ zu schwingen, widerstrebt vor allem Harald Seidel, der immer auch den Menschen hinter dem Parteibuch sieht. So „könne“ er durchaus mit Bodo Ramelow – mit Sahra Wagenknecht eher nicht. Bernhard Vogel und Christine Lieberknecht (beide CDU) seien für ihn immer gute Gesprächspartner gewesen. Von Blanka Weber um ein Schlusswort gebeten, wünschte sich Marie-Theres Mayer vor allem, dass der „Reformdrang“ der Menschen erhalten bleiben soll. Sich den Veränderungen hinzugeben und zu stellen, erachtete Heike Taubert als Fazit der Gründung der SDP vor einem Vierteljahrhundert; „hin zu neuen Ufer“ benutzte Pfarrer Kähler als biblisches Gleichnis für das Handeln. Die musikalische Umrahmung der Veranstaltung lag in den Händen der Jazzformation „jailbreak“, deren Musik den Zwiespalt und die Zerrissenheit, aber auch die Hoffnung und Zuversicht jener Tage hervorragend wiedergab.
Noch bis einschließlich 15. Januar 2015 ist die Ausstellung im Foyer der Vogtlandhalle Greiz zu besichtigen.

Antje-Gesine Marsch @10.01.2015