Greizer LehmgrubeDie Stadt Greiz wurde oft von Feuersbrünsten heimgesucht - lediglich die Lehmgrube blieb verschont.

Eine Sage von Franz Weidmann, erzählt von Rudolf Schramm, berichtet über den Feuersegen einer Zigeunerin

GREIZ. Sooft die Stadt Greiz von großen Feuerbrünsten heimgesucht wurde – hier sei vor allem an den großen Stadtbrand des Jahres 1802 gedacht – blieb die Lehmgrube stets von Bränden verschont. Sie hat sich als einer der ältesten Stadtteile zumindest einen Part ihres altertümlichen Gepräges bis auf den heutigen Tag erhalten – dank ihrer menschenfreundlichen Bewohner, wie es der Greizer Sagenforscher Rudolf Schramm so schön formulierte.
Warum die Lehmgrube stets ohne Verluste davon kam, sei hier in einer kleinen Sage wiedergegeben:
„Als Greiz noch ein kleines, stilles Städtchen war und die Bürger ihre mit Stroh und Holzschindeln gedeckten Ställe und Scheunen in der Nähe ihrer Wohnhäuser bauen durften, trieb einmal eines Abends ein Hirte seine Herde den noch unbebauten Pohlitzberg hinab zur Stadt. In einem Hohlweg, der zur Lehmgrube führte, fand er eine ärmliche, vergrämt aussehende und in Lumpen gehüllte Frau hilflos liegen, deren Anblick ihn mit Mitleid erfüllte. Er sprach sie an und fragte nach dem Woher und Wohin. Weil sie aber in einer fremden Sprache redete, konnte er sich nicht mit ihr verständigen. An ihrer ganzen Erscheinung konnte man erkennen, dass die arme Frau unter Not und Elend litt. Auch sein Weib, dem er davon erzählte, rührte das Erbarmen. Er eilte zu ihr, führte sie in ihr Häuschen an der Lehmgrube und bettete und pflegte sie, bis sie wieder zu Kräften gekommen war.
Die Fremde war eine Zigeunerin, die ihre Herkunft nie preisgab. Auch allen Anwohnern der Lehmgrube ging ihr Elend zu Herzen und sie erwiesen ihr mannigfaltige Wohltaten, obwohl sie selbst nicht auf Rosen gebettet waren und als arme Leinweber schwer für das tägliche Brot arbeiten mussten. Und weil sich die alte Zigeunerin nach ihrer Genesung zu jedermann hilfreich zeigte, genoss sie bei allen Leuten große Achtung und Zuneigung.
Als der Winter vergangen war, gab sie zu erkennen, weiterziehen zu wollen. Zum Abschied wurde sie mit allem, was ein Wanderer für eine lange Reise brauchte beschenkt: mit Kleidung, festem Schuhwerk, Nahrung und einem Zehrpfennig.
Bevor sie das gastliche Haus an der Lehmgrube, in dem ihr von guten Menschen in reichem Maße Wohltaten erwiesen worden waren, verließ, kennzeichnete sie es für andere Zigeuner, indem sie drei Nägel in das Gebälk schlug. Dabei erhob sie wie segnend die Arme über diesen kleinen Teil der Stadt und murmelte einen Spruch, den niemand verstand. Um aber den Leuten anzudeuten, was ihr sonderbares Gebaren bedeutete, trat sie an ein neugedecktes Strohdach, das an seinem unteren Rand noch nicht glatt geschnitten war, entzündete einen Schwefelfaden und begann zum Entsetzen aller, das Stroh des Daches in Brand zu setzen. Er schien im Augenblick, als sollte es vom Feuer verzehrt werden. Aber, o Wunder! Bald gewahrten die Umstehenden, dass nur die Unebenheiten am unteren Dachrand wegbrannten. Das geschah so genau, als wäre er mit der Schere abgeschnitten. Dann zog die Zigeunerin aus einem zu Füßen liegenden Strohbündel ein Halmendchen hervor und zündete es ebenfalls an. Da geschah ein zweites Wunder: der Halm brannte der ganzen Länge nach durch das Strohbündel hindurch zu Asche, ohne an den übrigen Halmen auch nur die geringste Spur des Brandes zu hinterlassen. Auf diese Weise erklärte die Zigeunerin ohne Worte ihre Verheißung und nahm daraufhin Abschied.“

Quelle: „Die Wunderblumen vom Röschnitzgrund“, 1979
Antje-Gesine Marsch @31.07.2018