Sergej Lochthofen in Greizer Buchhandlung BücherwurmNeben Schlagersingles hat Sergej Lochthofen auch die Stones und die Beatles mitgebracht.

Autor stellt seinen neuen Band „Grau – Eine Lebensgeschichte aus einem untergegangenen Land“ vor
GREIZ. „Grau“ ist nicht nur alle Theorie, sondern auch der Titel des neuesten Sachbuchs von Sergej Lochthofen – versehen mit dem Zusatz „Eine Lebensgeschichte aus einem untergegangenen Land“, das der Journalist am Dienstagabend im Greizer „Bücherwurm“ einer großen Zuhörerschaft vorstellte. Vor knapp einem Jahr war Sergej Lochthofen bereits Gast der Reihe „Prominente im Gespräch“ – damals offerierte er das Buch „Schwarzes Eis“ mit Lebenserinnerungen seines Vaters Lorenz, der zwanzig Jahre in der Lagerstadt Workuta lebte – jener Insel des Archipels Gulag, auf der 250000 Menschen den Tod fanden. Sergej Lochthofen wurde 1953 in Workuta geboren und kam als Fünfjähriger mit seinen Eltern in die damalige DDR. Er besuchte eine russische Schule, die deutsche Sprache habe er „auf der Straße beim Spielen“ gelernt, studierte auf der Krim Kunst, um dem Wehrdienst zu entgehen und Journalistik in Leipzig. Man kennt ihn als Stimme des Ostens im ARD-Presseclub oder Chefredakteur, der bis zum Jahr 2009 die „Thüringer Allgemeine“ verantwortete. Mit seinen Lebenserinnerungen möchte Lochthofen die „Verwobenheit der beiden Staaten DDR und Sowjetunion“ beleuchten. Die „spannende Farbe grau“, die „unheimlich viele Nuancen“ aufweise, soll dabei als Gleichnis für „Schleier“ oder „bedrückend“ dienen, ohne den Begriff „Unrechtsstaat“ zu tangieren, so Lochthofen. „Das Grau des Industrienebels über den Dächern der Stadt, der nicht Smog heißen durfte. Das Grau der abgeschabten Fassaden der Häuser. Das Grau im Gesicht der jungen Frauen, die gehetzt nach der Arbeit die Kinder aus der Krippe holten. Graue Autos. Graue Kaufhallenregale, das Grau der Zirkulare und Parteibeschlüsse. Grau in allen Schattierungen. Als sei jede andere Farbe mit Schimmel überzogen. Graue Menschen in einem grauen Land“, liest Lochthofen vor. „Viele schwiegen. Schauten weg. Ich auch.“ Das ist ein Satz, der die Zuhörer sofort aufhorchen ließ: Hier will sich keiner etwas vormachen oder sogar für unterlassene Heldentaten rechtfertigen. Hier wartet jemand mit tiefer Ehrlichkeit auf, auch wenn sie ihm manchmal sicher schmerzhaft widerfuhr.
Doch waren es an diesem Abend besonders die kleinen Anekdoten aus seiner Schulzeit, Jugend und des Studiums, die für Spannung und gleichzeitig Heiterkeit sorgten. Wohl die wenigsten der Zuschauer konnten sich Sergej Lochthofen im Levis-Anzug und mit langen Haaren vorstellen. Doch gerade das Konträre und manchmal unfreiwillig Komische zwischen dem ehrgeizigen Jungjournalisten einer sozialistischen Zeitung, Bürger mit sowjetischen Pass und der Realität in der DDR machte die Dosis der überzeugenden Darstellung aus. Nicht ohne Stolz erklärte der Journalist den Gästen, er sei der einzige Chefredakteur in Deutschland gewesen, der nie Deutschunterricht hatte. Dass er keine Heimat habe, störe ihn nicht – und der Begriff des „Patrioten“ sei ihm im Zeitalter von „Pegida“ sowieso suspekt, wie er zugibt. Er sei glücklich, dass er die Geschichte seiner Familie aufgeschrieben habe – schließlich gehe sie durch Gespräche mit seinem Großvater bis in das Jahr 1890 zurück. „Es sind eigene Erinnerungen und nicht Aufzeichnungen aus Archiven.“ Dass Lochthofen auch einiges aus dem Nähkästchen plauderte, erheiterte die Veranstaltungsgäste. Zur schulinternen „Tanzveranstaltung“ auf der Krim wurden zunächst deutsche Schlager aufgelegt, die der Lehrerin besonders gefielen. Milde gestimmt, „verschwand diese dann für zwei Stunden im Lehrerzimmer und der Weg für die Beatles und Stones war geebnet“, so Lochthofen augenzwinkernd. Aus beiden Stilrichtungen hatte der Journalist neben einem Plattenspieler einige Singles dabei und präsentierte neben „Ramona“ der Blue Diamonds auch „A hard day’s night“ der Beatles und „Paint it black“ der Stones. Dem Gerücht, er sei damals Mitglied der KPdSU gewesen, stellte er sich auch an diesem Abend entgegen. Auch war er nie für den KGB tätig, wie man oft im internen Kreis hinter vorgehaltener Hand sprach. Warum er denn kein DDR-Bürger werden wolle – was seinen Auslandsreisen sehr hinderlich gewesen wäre – habe Sergej Lochthofen stets mit dem überzeugenden Satz beantwortet: „Die Staatsbürgerschaft von Lenin legt man nicht einfach aus der Hand.“ Das Buch endet im Januar 1990 – man darf also gespannt sein, was Sergej Lochthofen über die Zeit des Aufbaus und Wandels, aber auch der Zwänge in der neuen Gesellschaft noch schreiben wird. Zweifelsohne wird er das tun.

Antje-Gesine Marsch @07.01.2015