"Solche und solche" in Greiz

Ausstellung im Museum der Schloss-und Residenzstadt Greiz feierlich eröffnet. Erster Programmtitel von media nox dem verstorbenen Mitbegründer und Freund Günter Ullmann gewidmet

"Solche und solche" in Greiz
Media nox von damals: Rudolf „Ruby“ Kuhl, Hermann Losch, Frau Kornatz, Harald Seidel, Jürgen Kornatz, Bernd Müller (v.l.)
GREIZ. Mit Freundschaften ist es wie mit Pflanzen: Man muss sie pflegen. Beredtes Zeugnis darüber können die Mannen der Jazzformation media nox ablegen. Vor fast fünfzig Jahren gründeten junge, musikbegeisterte Greizer eine Combo und bereichern seither die Kulturszene der Stadt nachhaltig. Dabei kannten sich die drei Gründer Rudolf Ruby Kuhl, Harald Schotte Seidel und Günter Charlie Ullmann bereits aus frühester Kindheit. Ursprünglich als Beat-Gruppe Gallow birds wandten sie sich bald dem Free Jazz zu. Ihr erstes Auftrittsverbot erhielten sie im Jahr 1965 wegen Sozialismus-fremden englischen Gesangs. Als sich Günter Ullmann 1968 aus Protest gegen den Einmarsch der Warschauer Vertrags-Staaten in die CSSR aus Solidarität kleine tschechoslowakische Fähnchen an den Kragen heftet, wird er aus dem Saal heraus verhaftet. Was damals noch erschwerend dazu kommt, auch das literarische Wort wird immer mehr zur Gefahr durch den Schriftsteller Reiner Kunze, der seit 1962 in der Elsterstadt lebt. Im Jahr 1966 taucht Manfred Böhme in Greiz auf und wird bis zu seinem plötzlichen Verschwinden im Jahr 1977 nicht nur zum Funktionär und Motor des Greizer Jugendlebens, sondern auch zum Enfant terrible. Er gründet einen Lyrik- und Philosophie-Zirkel und schart einen harten Kern Jugendlicher um sich. Doch was zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnen konnte: er bespitzelte im Dienst der Staatssicherheit der DDR seine Freunde, verfasst Berichte und Analysen.
Der Greizer Kulturszene der Jahre 1968 bis 1978 ist die Ausstellung Solche und solche gewidmet, die am Sonntagvormittag mit einer feierlichen Stunde eröffnet wurde. Wer wäre prädestinierter, diese Vernissage musikalisch zu untermalen, als eben jene Gruppe, der ein großer Teil der Sonderausstellung gewidmet ist der Jazzformation media nox in der Besetzung Jens Wunderlich (perc), Harald Seidel (b), Hermann Losch (p) und Rudolf Kuhl (sax). Möglich, dass manchen der Gäste ein De`jä – vu überkam für viele Greizer ist diese Musik aus den Erinnerungen an die eigene Jugend und auch später nicht mehr wegzudenken.
Die Idee einer solchen Ausstellung überkam Museumsdirektor Rainer Koch schon vor vielen Jahren. Der Lyriker Günter Ullmann, der im damaligen Heimatmuseum angestellt war, führte mit ihm lange Unterredungen, so auch über Manfred Ibrahim Böhme. Koch war zu dieser Zeit noch schwankend zwischen Abscheu und Faszination, wie er sagte. Letztendlich habe die Abscheu überwogen und die Betroffenheit fortan einen un-emotionalen Umgang mit dieser Thematik unmöglich gemacht. Koch selbst las Reiner Kunzes Werk Die wunderbaren Jahre bereits in seiner Jugend. Die Magie lebt noch heute, so Koch. Auch den Einfluss der Bildhauerin Elly-Viola Nahmmacher brachte er zur Sprache. Ihre Kunst prägte die Jugend. Diese wichtige Dekade in fassbaren Lebensgeschichten begreifbar zu machen, nannte Rainer Koch als Anspruch der Ausstellung, die von Zeitzeugen-Interviews, die in Greiz und Berlin gedreht wurden, viel an Substanz gewinnt.
Die Berliner Journalistin Christiane Baumann, die mit dem Buch Manfred „Ibrahim“ Böhme. Ein rekonstruierter Lebenslauf für Aufsehen sorgte, wirkte maßgeblich an der visuellen Ausgestaltung der Ausstellung mit. Besonders beeindruckt habe sie, wie die Gefühle von damals bis heute als anhaltende Aktivitäten nachwirken. Bewahren Sie sie. Sie sind ein zeitloser Schatz, wie sie im Hinblick auf die Musik und die Freundschaft der Musiker von media nox unterstrich.
Antje-Gesine Marsch @16.09.2012

Die Greizer Kulturszene unter Beobachtung 1968 1978

Sonderausstellung im   Museum im Unteren Schloss Greiz
16. September 2012 18. November 2012
täglich ausser montags 10.00 Uhr 17.00 Uhr

"Solche und solche" in Greiz
Plakat
Die Greizer Kultur- und Literatenszene der siebziger Jahre entwickelte eine bemerkenswerte Vielfalt.
Zu den prägenden Persönlichkeiten dieser Szene gehörten der Lyriker Reiner Kunze, die Bildhauerin E.-V. Nahmmacher sowie die Musiker der Jazzformation media nox.
Was die jugendlich-alternative Kulturszene der Jahre 1968 bis 1978 so interessant macht, ist ihre Lebendigkeit, die bis heute zu spüren ist und nachwirkt.
Die Band media nox, gegründet von musikbegeisterten Lehrlingen, war in erster Linie ein Freundeskreis mit einem gemeinsamen Projekt, der Musik.
Andere Kreise gruppierten sich um die Themen Lyrik, Foto, Bildhauerei und um Literatur im weitesten Sinne. Man kannte sich oder lernte sich kennen und tauschte sich aus – die Kreise berührten sich.
Politisiert durch den Einmarsch in Prag und die Biermann-Ausbürgerung, verband die Jugendlichen, die hier kulturell aktiv waren, ein gemeinsames Lebensgefühl, das man als das der 68er im Osten bezeichnen könnte: Es ging im Kern darum, sich selbst und andere Lebensformen auszuprobieren.
Was hier geschah wurde argwöhnisch durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR beobachtet und protokolliert.
Besonders auffällig ist in diesem Kontext der Vertrauens- und Machtmissbrauch durch die IM-Tätigkeit des freundschaftlich verbundenen Manfred Ibrahim Böhme.
Böhme war ein besonders eifriger Zuträger. An seinem zwiespältigen Wirken werden Denunziation, Lüge und Übergriffigkeit der Stasi anschaulich.
Bemerkenswert ist, dass Böhme, der 20 Jahre lang inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR war, im Herbst 1989 zu einem politischen Hoffnungsträger werden konnte. Er kandidierte für das Amt des ersten frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR. Seine Enttarnung durch die Entdeckung und Veröffentlichung der Stasi-Akten von Reiner Kunze verursachte 1990 einen großen politischen Skandal.
Die neue Sonderausstellung Solche und Solche Die Greizer Kulturszene unter Beobachtung 1968-1978 thematisiert die Greizer Hintergründe des Skandals und lässt Zeitzeugen jener Jahre in Videointerviews zu Wort kommen.
Im Mittelpunkt der Ausstellungen stehen regionale und überregionale Persönlichkeiten, die unmittelbar von der IM-Tätigkeit Böhmes betroffen waren.
Die Sonderausstellung folgt diesen Lebensläufen, stellt deren Wirken und Schaffen im Kontext des Verrats als Bestandteil des DDR-Alltags durch Aktenauszüge dar.
Anliegen der Ausstellung ist es, dass die Anonymität der überlieferten Stasi-Akten zugunsten von fassbaren Lebensgeschichten aufgelöst wird.
Zur Eröffnung dieser neuen zeitgeschichtlichen Sonderausstellung am Sonntag, dem 16. September 2012, um 11.00 Uhr, im Festsaal des Unteren Schlosses sind alle Interessierten sehr herzlich eingeladen.
Museum im Unteren Schloss Greiz