UT99: Großes Interesse am Streifen "Vorurteil Heimat"

Vor ausverkauftem Saal wurde am Donnerstagabend der Dokumentarfilm „Vorurteil Heimat“ im Greizer Kino UT99 gezeigt

GREIZ. Heimat kann vieles sein: Ein Ort voll Geborgenheit und Wärme, ein verlorenes Paradies oder ein Sehnsuchtsort der Kindheit. Für Nanina Bauer war das Städtchen Elsterberg keines von all dem. „Ich fand die Stadt immer hässlich“, gesteht sie im Dokumentarfilm „Vorurteil Heimat“, der am Donnerstagabend im Greizer Kinocenter UT99 gezeigt wurde.
35 Jahre war die jetzt in Dresden Lebende nicht mehr in ihrer Heimatstadt. Nach einem Studium der Germanistik und Kunst, der Promotion im Jahr 1992 und verschiedener Lehrtätigkeiten betreibt sie seit elf Jahren mit Ehemann Jörg-Peter Bauer das Dresdener Filmstudio „Klarheit“.

Der Streifen „Vorurteil Heimat“ sei ein sehr persönlicher Film, wie sie zu Beginn sagt. Darin begibt sich die Autorin auf die Suche nach den Ursachen der Ablehnung ihrer eigenen Vergangenheit. Durch das tiefe Eintauchen in die Historie dieser Stadt ergeben sich wie zufällig Parallelen zur Gegenwart. „Die Pegida – Demos in meiner Stadt Dresden ließen solche Worte wie ‚Heimat‘ und ‚Nationalgefühl‘ auftauchen – das erzeugte in mir tiefes Unbehagen.“
„Warum ist es mir so unangenehm, an die Vergangenheit zu denken und zurückzublicken, wobei es oft nur Bruchstücke sind, die ich im Kopf habe?“, fragte sich Nanina Bauer. Mit der Stadt Elsterberg – bekannt für ihr vogtländisches Brauchtum, ihre Volkskunst, Trachtenfeste und gepflegte Heimatverbundenheit – hatte sie noch nie etwas anfangen können. Nicht mal zu Klassentreffen sei sie in die Stadt zurückgekehrt.

Das sollte sich nun ändern: Anstoß war die im Jahr 2016 am Gustav-Voigt-Platz eingeweihte ungarische Gedenksäule, eine Kopjafa, die an die ehemaligen ungarischen Vertragsarbeiter und die bis heute andauernde Freundschaft mit ihnen erinnern soll.
Als Nanina 11 Jahre alt war, kamen die ersten Ungarn in Elsterberg an, um im VEB Kunstseidenwerk zu arbeiten. Der Empfang war damals alles andere als herzlich. Vorurteile, wie unmoralisches Verhalten, übermäßiger Alkoholgenuss oder ausufernde Partys im Wohnheim wurden von den Einwohnern geschürt und befeuert.
In Naninas Elternhaus propagierte man den Kommunismus und lebte ihn vor. Mutter Inge Jeszkowiak war zu dieser Zeit Kaderleiterin im Kunstseidenwerk – böse Zungen nannten sie eine „Zweihundertprozentige“ – und mit der Betreuung der Ungarn beauftragt. „Von den Ungarn wusste meine Mutter jeden Geburtstag, meinen 13. hat sie vergessen“, erinnert sich Nanina. Dass sie von Klassenkameraden eher abweisend behandelt wurde, „hing sicher damit zusammen, wie meine Familie nach außen wirkte“, schätzt sie heute ein.

Im Dokumentarfilm selbst wurde historisches Filmmaterial aus der Zeit des Nationalsozialismus bis hin zu DDR-Zeiten offeriert; auch fein säuberlich geschriebene Aufsätze von Nanina; Fotos und Interviews mit Zeitzeugen. Etwa mit Guyla Csukàrdi, einem ehemaligen ungarischen Vertragsarbeiter, der in Elsterberg blieb und dessen Garten zum Treffpunkt für die Magyaren der Region avancierte.
Auch der Bürgermeister der Stadt Elsterberg, Sandro Bauroth, der die Kopjafa persönlich mit einem Transporter aus Ungarn holte, kam zu Wort; weiterhin Claus Beckert vom Heimat-und Trachtenverein oder Wolfgang Haupt, stellvertretender Bürgermeister und Geschichtsforscher. Er hatte die Chronik des VEB Kunstseidenwerkes erarbeitet und gab zu: „Wir kamen untereinander sehr gut aus.“ Viele Ungarn, etwa Bela Badi, sprachen im Film davon, dass diese Zeit die schönste im Leben war: „Unser Herz ist immer in Elsterberg.“

Was Dr. Nanina Bauer an diesem Abend besonders überraschte: Extra für diesen Film waren 64 Ungarn aus ihrem Heimatland angereist, um sich gemeinsam diesen Streifen anzuschauen und dabei in Erinnerungen zu schwelgen. Oft hörte man sie tuscheln, lachen oder Namen rufen.

Nach all diesen Recherchen denke sie jetzt oft an Heimat, gab Dr. Nanina Bauer im Film zu. Wobei ihre Heimat eine andere ist, wie die im Film beleuchtete. Der Film dokumentiert sicher auch ein Stück weit Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit und eine Revidierung eigener Vorurteile – wobei mancher mit mehr Fragen aus dem Kino ging, als er hineinkam.

„Ein hervorragendes Zeitdokument“ schätzte Sandras Bauroth nach dem Film ein. Viele Gäste blieben nach der Premiere noch im Kinosaal sitzen und kamen mit der Autorin Dr. Nanina Bauer und Produzent Jörg-Peter Bauer ins Gespräch.

Antje-Gesine Marsch @28.10.2017