Die Historische Stadtführung durch GreizDas Mode-und Showteam Greiz griff bei seiner heiteren Stadtführung den Beruf des Rastelbinders (r.) szenisch auf.

Vor einhundertfünfzig Jahren gab es etwa einhundert Berufe – Viele überlebten nicht und verschwanden

GREIZ. Noch vor etwa einhundertfünfzig Jahren gab es in Deutschland kaum einhundert Berufe – in der Gegenwart sind es weit über 350. Doch mit fortschreitender Entwicklung von Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Bildung treten zwar ständig neue in Erscheinung, andererseits verschwanden Berufe, die jahrhundertelang überlebten.

Kaum einer weiß heute noch etwas vom Beruf des „Zaunbauers“, der zwar sicher ein schöner, aber saisonabhängiger war. Früher war fast jeder Greizer Garten von einer Zaunhecke umfriedet, die meist aus Weißdorn, Rot-und Hainbuche und aus dazwischen gepflanzten Wildrosen bestand. Lattenzäune kannte man in der Stadt kaum. Auch in den Dörfern rund um Greiz gab es nur den „lebendigen“ Zaun. Im Frühjahr kam der Zaunbauer – Heckenschere, Handsäge und eine eine scharfe Hippe, eine sichelförmig geschwungene Klinge, waren die einzigen Arbeitsgeräte; Weidenrutenbündel und dünne Birkenreiser das übrige Zubehör. Jeder Zaun wurde nun fein säuberlich nach Schnur und Band beschnitten. Zum einen, um ihn dicht und lückenlos zu halten, zum anderen, um ihn nicht in zu üppiger Breite wachsen zu lassen. Die so hervorragend gepflegten „Zäune“ waren zudem ein idealer Nistplatz für die damals zahlreich lebenden Busch-und Heckenbrüter, die unter den schädlichen Insekten so aufräumten, dass man Schädlingsplagen nicht kannte. Die Zaunmacher kannten keine zunftmäßigen Bindungen wie viele andere Berufe, trotzdem waren sie nicht weniger stolz auf ihre Standesehre. Die übrige Zeit des Jahres waren die Zaunbauer als Wiesen-und Teichbauern tätig und durch diese Arbeit Gestalter der Landschaft.
Eine untentbehrliche Zunft für unsere Vorfahren waren, als es noch kein Emaille-oder Aluminiumgeschirr gab und Steingutoder irdenes Geschirr Urgroßmutters zerbrechliche Aussteuer ausmachten, die Rastelbinder oder Topfstricker. Sie „grasten“ jedes Dorf rings um die Stadt Greiz ab, klopften bei jeder Familie an und horchten in jedes Haus hinein, ob es nicht zerbrochene, aber reparierbare Äsche, Krüge, Schüsseln oder Töpfe gebe, um diese durch „Einstricken“ wieder dienstfähig zu machen. Als Handwerkszeug hatten die Rastelbinder ein Felleisen, in dem sie einige Rollen aus Drahtfäden verschiedener Stärke und zwei Flachzangen mit sich führten. Das „Einstricken“ geschah unter Anwendung weiterer und engerer Schlingmaschen. Die reparierten Gefäße erweckten danach den Eindruck, als ob sie in ein „Drahtkorsett“ hineingewachsen wären. Haltbar waren die Gefäße danach meistens noch sehr lange. Manche Hausfrau behauptete seinerzeit sogar, sie seien genaus so haltbar wie in ihrem einstigen Originalzustand. Im Nebenberuf war jeder Rastelbinder auch noch eine Art „Postillon d’amour“. Manche Dorfschöne, die trotz vorgerückten Alters den Anschluss an einen entsprechenden Galan bislang nicht fand, gewann oft durch die Vermittlung eines Rastelbinders, der quasi jeden im Umkreis kannte, noch einen Ehemann.
Eine sonderbare, oft mit Spott bedachte Zunft war seinerzeit die der „Grünhüte“ oder auch „Sauschneider“. Sie zogen – oft ohne festen Wohnsitz – von Ort zu Ort und besorgten in den Bauernwirtschaften das Kastrieren der Spanferkel, der Jungböcke und Junghengste – und waren so nebenbei noch Kammer-, respektive Schürzenjäger. Auch galten sie als wandelnde „Zeitungen“, trugen Neuigkeiten von Ort zu Ort. Das sichtbare Amtszeichen war der grüne, spitze Hut, das sogenannte „Zündhütchen“. Auch diese Zunft ist mittlerweile längst ausgestorben.
Ausgestorben sind auch die gewerblichen „Maulwurfsfänger“, die mit Hilfe selbst hergestellter hölzernen Fallen den verhassten Maulwurf fingen und ihm das Lebenslicht ausbliesen. Diese Fallen waren oft kleine Kunstwerke und blieben monatelang wirksam. Von jedem gefangenen Maulwurf musste der amtlich bestellte Fänger die rechte Grabpfote beim Ortsrichter oder Gemeindevorsteher abliefern, um seine kärgliche Jahresentschädigung um 20 Pfennig aufzubessern.

Quelle:
Informationen von Reinhard Michaelis, Greizer Heimatkalender 1959

Antje-Gesine Marsch @06.11.2015